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Gerd Gedig, Thilo Bock und Peter Wawerzinek (von links) vor dem Alfred-Döblin-Haus.

© Susanne Bax

30 Jahre Alfred-Döblin-Haus: Geister, die wir rufen

Das Alfred-Döblin-Haus feiert Jubiläum. Zum Geburtstag schreibt Peter Wawerzinek eine Spukgeschichte aus der Villa Grassimo in Wewelsfleth.

Es war ganz bestimmt der Satz: Irgendwie fehlt hier etwas, der die alte Keyn veranlasst hat, als Spukgestalt zu erscheinen. Dass sie sich erst dem einen, dann dem zweiten und danach erst auf unser beider Ruf nach ihr gezeigt hat, spricht für ihre diskrete Vornehmheit. Alte Gemäuer wie diese hier sind ja sehr anfällig für Geistergeschichten. Man muss nur lange dasitzen und nichts tun, dann zieht der Geist durch den Raum, steht in der Tür, hängt frech Bilder um, tauscht Minze-Teebeutel gegen Tupferpackungen aus, treibt Schabernack mit Schattenspiel und Gedöns.

Was ist Fantasie, was Vision? Wem kann man das erzählen, was wir erleben, ohne für bekloppt erklärt zu werden? Wir glauben ja selbst immer mal wieder an Störung der Sinne, an leichte Schatten, die wir haben, wenn wir in der Küche stehen und: Kannst du dieses Geräusch nachmachen, Hanne?, rufen und dabei auf den Tisch klopfen. Wir schalten das Licht aus und sagen: Wenn hier jemand ist, bitten wir dich, sich zu melden. Mach für uns ein Geräusch, das für dich spricht. Und sind dann gehässige Töne und Winde um uns, wird uns beiden jedes Mal flümerant. Aber dann hören wir sie husten, und dieser schlimme Raucherhusten macht uns leicht. Und dann riechen wir auch das für sie typische Parfüm. Und schon hauchen wir wechselseitig: Bist du es? Kommt da etwa die Keyn auf uns zu, will uns besuchen?

Bei Spukgestalten muss man skeptisch bleiben

Nur fröhlich hereinspaziert, zeig uns, dass du es wirklich bist. Die Frau, die wir meinen, die uns mag, die wir mögen, vor der wir keine Angst haben. Lass dich sehen, du Schöne, fordern wir sie auf. Fürchte uns nicht, wie wir dich nicht fürchten. Und dann schwebt sie auch schon die Treppe herunter auf uns zu. Keine Umarmung. Kein Küsschenküsschen, ohne jeden Gefühlsakt setzt sie sich an den Tisch, die hintere Stirnseite, den Herd im Rücken. Als wäre ihr Tod nie gewesen, sitzt sie da, nicht viel größer als ein siebenjähriges Kind.

Das mit dem Rauchen, stöhnt sie, ist meine einzige Plage geblieben. Da steckt der Robert hinter, behauptet sie. Quält mich weiterhin, der alte Plagegeist. Wir seien ihre guten Jungen, einfühlsam und stark, sagt sie. Dass sie hier gern erscheine, läge allein an uns und unserem guten Benehmen. Sie zu sich zu rufen, sagt sie, brächten selbst ausgebildete Geisterjäger nicht zustande. Herzensangelegenheit. Wir könnten das auch nur, weil wir uns auf das Haus insgesamt einließen. Sie spricht nicht von dem Haus, sondern von ihrem Anwesen. Und ich möchte sie am liebsten zwicken, traue mich das aber nicht. Bei Spukgestalten muss man skeptisch bleiben. Man weiß nie, wie sie reagieren. Aber Hanne ist da. Und Hanne hat Zeit. Und Hanne plappert, wie wir sie kennen, Verzeihung, kannten. Wer will sagen, was hier real ist, Spuk, Gegenwart, Vergangenheit? Wir fühlen uns einfach gut mit unserer Hanne wieder in der Küche vereint.

Kinderschietkram ist das

Thilo bereitet Nudeln zu und aus Pubanz’ Gemüseabteilung eine flinke Pfanne mit Möhre, Paprika, Zwiebel, Knoblauch, Porree. Streut, zufrieden pfeifend, teuren Käse darüber. Bietet aus Gag der Hanne davon einen Teller an, den sie natürlich ablehnen muss. Geister konsumieren nicht. Wir trinken Wein. Wir stoßen auf ihren Geisterzustand an und sind vergnüglich. Wir hören ihr zu, fragen ihr Löcher in den Bauch, die man wirklich sieht. Sie stopft sie mit Zigarettenrauch. Funktioniert immer, sagt sie. Wie sie das nur geschafft hat, fragen wir. Ein Geist zu sein?, winkt sie ab. Kinderschietkram ist das. Alles nur eine Frage der Energien. Ich zweige den Leuten unmerkliche Energien ab. Aus Sicht der Wissenschaft mag das ja alles nur Humbug sein, aber es ist, wie es ist, das Ergebnis seht Ihr ja.

Seit 30 Jahren beherbergt das von Günter Grass gestiftete Alfred-Döblin-Haus im schleswig-holsteinischen Wewelsfleth Berliner Autoren und Autorinnen. Über 250 von ihnen waren dort mit einem Stipendium der Akademie der Künste und des Berliner Kultursenats schon zu Gast. Und wie die Villa Massimo in Rom bringt auch die sogenannte Villa Grassimo Geschichten hervor. Im Verbrecher Verlag erscheint zum Jubiläum ein von Peter Wawerzinek und Thilo Bock herausgebenes Buch, das der guten Seele des Hauses gewidmet ist.

"Das auffallend unauffällige Leben der Haushälterin Hannelore Keyn in der Villa Grassimo zu Wewelsfleth" (mit Fotografien von Susanne Bax und einem Nachwort von Jörg Feßmann, 152 Seiten, 24 €) sammelt haargenau so Erlebtes und nicht genau so Erlebtes, um nicht zu sagen Erfundenes. Texte, die der Verstorbenen huldigen und ihren nach wie vor lebendigen Geist als ebensolchen beschwören – so wie Peter Wawerzineks „Geisteranrufung“ auf dieser Seite.

Die Buchpremiere findet nun am Freitag, den 23. September, um 19 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz bei einer Langen Nacht statt. Dabei treten auch viele andere Ex-Stipendiaten wie Julia Franck, Reinhard Jirgl oder Julia Kissina auf. Livemusik kommt von der Beatbande. Der Eintritt ist frei.

Peter Wawerzinek

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