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Kultur: 34. Hofer Filmtage: Die Schattenboxer

Am 16. Oktober 1931 machten Klaus und Erika Mann auf der Reise von Berlin nach München Station in Hof.

Am 16. Oktober 1931 machten Klaus und Erika Mann auf der Reise von Berlin nach München Station in Hof. Sie stiegen im Hotel Strauss ab, sahen sich im Kino "Geheimdienst" mit Brigitte Helm und Willy Fritsch an, und Klaus Mann notierte: "Könnte schlechter sein". Nachts träumte er von einer "Pension voller Wahnsinniger".

Am 27. Oktober 2000 sitzt Wieland Speck, Filmemacher und Leiter der Panorama-Sektion der Berlinale, in der Gaststube des Hotel Strauss und erzählt von Klaus Manns Alptraum. Speck hat einen Dokumentarfilm über Klaus und Erika Mann nach Hof mitgebracht, "Escape to Life": ein Film über das Anderssein in schwierigen Zeiten, über Emigration und Todessehnsucht - und über eine unglaublich energische Frau. In der Runde sitzen an diesem Abend auch Dieter Kosslick, der zukünftige Berlinale-Chef, sowie Christoph Terhechte, der designierte Leiter des Berlinale-Forums. Das Trio hat sich für den nächsten Tag zu einem ersten Gipfeltreffen verabredet und gibt hier, am Stammtisch für die Gäste der Hofer Filmtage, bei Frankenwein und Zwetschgenschnaps eine erste, heitere Vorstellung von seiner Zusammenarbeit ab Mai 2001. Die Neugier ist groß, die Stimmung blendend, der Rest bleibt - vorerst - geheim. Die Zukunft der Berlinale? Könnte schlechter sein.

Dies ist eine Wrap-up-Story. So lautet der Fachbegriff für eine Sammelrezension oder einen Festivalbericht. Eine Wrap-Up-Story ist eine Art Reinemachen. Man bündelt all das, was von Hof, dem jährlichen Familientreffen des deutschen Films, übrig bleibt: die Kopfballvorlage von Sönke Wortmann für den 2:2-Ausgleich beim traditionellen Fußballspiels des 1. FC Hofer Filmtage mit der Debatte über die 51-prozentige Übernahme von Tom Tykwers Produktionsfirma X-Filme durch die Senator GmbH. Die Frauenporträts in den Debüts der Hochschulabsolventen mit den Alleingängen der wunderbaren Anna Thomson in den New-York-Filmen von Amos Kollek, dem die diesjährige Hommage gewidmet war. Die Verleihung des städtischen Filmpreises an Joachim Król mit den aktuellen Auftritten der Gegenwart im deutschen Film. Die Fernsehästhetik und die Bravheit der Jungfilmer noch im Experiment. Von wegen Wahnsinn.

Das geht nicht? Es geht nicht. Oder doch: mit Hilfe der Trendforschung. Der Trend ist das Verpackungsmaterial jeder Wrap-up-Story. Trend Nummer Eins auf den 34. Hofer Filmtagen: der Wettkampf. Im vergangenen Jahr dominierten die Fußballfilme. Diesmal waren zahlreiche Sportarten zu besichtigen: Sumo, Kegeln, Gokart-Rennen, Boxen, Judo, Schwertkämpfe. Lenard Fritz Krahwinkel erzählt in "Sumo Bruno" von der Weltmeisterschaft der Ringer in Riesa und davon, wie man mit Würde Zweiter wird. Was passiert, wenn einer nicht weiter weiß und doch weiter macht? Und wie geht das mit der Liebe, wenn einer so dick ist?

"Sumo Bruno" schlägt Funken aus seinem sportlichen Thema. Er lässt seinem unansehnlichen Helden seine Unansehnlichkeit. Nicht die Kampfszenen sind sehenswert, sondern die Momente davor und danach, der Muskelkater, die Erschöpfung. Bei den anderen Sportfilmen geht es meist doch ums Siegen. Um den besten Auftritt, das Auspunkten, das Ganz-Groß-Rauskommen. Kein Spiel, sondern Kalkül, und Gewinnen ist Trumpf: die neoliberale Variante des Sports - und des Kinos.

In "Der Himmel kann warten" treten zwei Freunde zum Comedy-Wettbewerb an. Der eine stirbt an Krebs, der andere weiß nicht von der Krankheit seines Freundes. Ein Buddy-Movie mit Ausflug nach Hollywood, großem Orchester und melodramatischem Finale. Leider ertränkt die Regisseurin Birgit Müller ihren Versuch, den Witz im Angesicht des Todes aus der Reserve zu locken, in einem Meer voller Tränen. Gefühle? Eine Frage des Soundtracks.

"Sumo Bruno" spielt in der Provinz. Trend Nummer zwei: Der ganz neue deutsche Film begibt sich an die Ränder, in den Ruhrpott, die Vorstadt, aufs Land. Alltag ist angesagt. Politisches, wenn überhaupt, wird von der Peripherie aus betrachtet. Detlev Buck führt in "LiebesLuder" die Bigotterie einer Kleinstadt vor, die über Leichen geht, damit der spießbürgerliche Schein gewahrt bleibt. Eine schwarze Komödie, die ihr Thema jedoch zunächst im Kalauer und dann im Knall-Effekt verspielt. Auch in "Alaska.de" von Esther Gronenborn ist das Leben ein Krieg. Jugendliche in einer Plattenbausiedlung am Rande Berlins. Kampfhunde, die sich ineinander verbeißen, ein Streit, ein Messer, ein Toter. Verwackelte Bilder im Staccato-Rhythmus, gezielte Unschärfen auf Cinemascope: Präzise fängt Gronenborn den Augenblick ein, in dem Langeweile in Gewalt umschlägt. Und doch fehlt der Regisseurin die Geduld, ihre Protagonisten wirklich zu betrachten. Sie nähert sich nicht, sie ist gleich ganz nah dran. Sie stellt sich nichts vor, sie stellt nur etwas dar. So erstickt die Neugier im Stilwillen, mit dem die Sprache der grobkörnigen Bilder den ruppigen Jargon der Laiendarsteller imitiert.

Trend Nummer drei: die starken Frauen. "Alaska.de" erzählt von dem Mädchen Sabine (Jana Pallaske), das die Spirale der Gewalt aufzuhalten versucht. In "Salamander" von Barbara Gebler trickst eine junge Frau (Henriette Heinze) diverse Kleingangster aus, mit Judogriffen und anderen Volten. Eine Genrepersiflage, so unberechenbar wie ihre Heldin. Und in "Einer geht noch" von Vivian Naefe kegelt eine Frauenriege die männliche Konkurrenz aus der Bahn.

Am Anfang von "Girlfight" steht ein trotziger, feindlicher Blick. Auch Diana (Michelle Rodriguez) liegt im Clinch mit einer Welt, die ihr keine Chance gibt. Also fängt sie zu boxen an, gewinnt ihren ersten, großen Kampf und setzt dabei ihre erste, große Liebe aufs Spiel. Kein deutscher Film, sondern ein amerikanischer Erstling von Karyn Kusama. Auch kein Film, der das Kino neu erfindet. Aber einer, der sich die Zeit nimmt, die Geschichte dieses einen, trotzigen Blicks zu erzählen und der etwas von der Gleichzeitigkeit weiß, mit der Stärke und Schwäche Hand in Hand gehen. Bis zum Ende wahrt die Regisseurin eine gewisse Distanz zu ihrer Heldin; bis zum Ende begreift sie deren Blick nicht ganz. Das schärft ihre Aufmerksamkeit. Und es lässt den Bildern jenen unnahbaren Rest, ohne den die Fantasie nichts findet, woran sie sie sich entzünden könnte. Das Kino, verrät "Girlfight", kommt dem Leben nur bei, wenn es jenes nicht auszupunkten versucht. Auch eine Bilanz der 42. Hofer Filmtage. Könnte schlechter sein, würde Klaus Mann vermutlich notieren.

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