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Junge Hüpfer. Der Konzertchor vor dem Berliner Dom. Insgesamt sind allerdings weit mehr Jungen im Staats- und Domchor aktiv - 300 an der Zahl.

© Staats- und Domchor Berlin/Alexander Zörnig

550 Jahre Staats- und Domchor Berlin: Stolz im Bauch

Der Staats- und Domchor Berlin gilt als das älteste Ensemble der Stadt. Vor exakt 550 Jahren wurde die Knabentruppe gegründet. Das feiert sie mit einem Festprogramm - einer Ausstellung und großen Konzerten.

Sie sind die jüngsten Profimusiker von Berlin – doch ihr Ensemble ist das älteste der Stadt: Exakt vor 550 Jahren, am 7. April 1465, wurde an der Schloss- und Domkirche St. Erasmus nämlich ein Stift eingerichtet, das dafür sorgte, dass der liturgische Chorgesang bei Hofe von Chorschülern unterstützt wurde. Seitdem ist zwar kein Stein von Schloss und Kirche auf dem anderen geblieben. Doch bei wichtigen staatlichen, kirchlichen und musikalischen Anlässen in der Stadt spielt der „Staats- und Domchor Berlin“, wie die singenden Jungs seit 1922 genannt werden, noch immer eine tragende Rolle.

Wie sich die bis in das Mittelalter zurückreichende Tradition in die Gegenwart retten konnte? Die wichtigste Antwort lautet: Weil ein Auftritt verdammt viel Spaß machen kann! Um sich davon zu überzeugen, muss man nicht erst in den Dom oder in die Philharmonie pilgern – es genügt bereits ein Besuch beim Mitsingekonzert in der Villa Elisabeth. Hier treffen wir die „Kurrende“ an: Sie ist nach Worten von Kai-Uwe Jirka der „stolze Bauch“ der von ihm geleiteten Institution, deren 300 Sänger in sechs altersmäßig gestaffelte Gruppen aufgeteilt sind. In der Kurrende singen Jungen ab sechs Jahren. Viele von ihnen haben schon im Vorschulalter bei den „DoMinis“ oder anschließend bei der Chorschule mitgemacht. Wer sich nun auch beim mehrstimmigen Singen bewährt, hat die Aussicht, im Kapellchor mitzusingen und dort erstmals gemeinsam mit Männerstimmen aufzutreten oder später gar im Konzertchor mit den berühmtesten Musikern der Welt auf einer Bühne zu stehen.

Die Stimmen der Jungen berühren tief

Welch ein Privileg die kostenlose intensive Ausbildung bedeutet, das erkennen als Erstes Eltern, die selbst einen engen Bezug zur Musik haben. „Die Stimmen dieser Jungs gemeinsam im Chor – das berührt einen schon tief“, sagt der Vater des neunjährigen Firoz: „Wenn man zum Beispiel in einer Kirche sitzt und diese Knaben hört, meint meine Frau immer: So stellt man sich vor, wie Engel singen würden.“ Im Augenblick aber muss der Sohnemann den Bengel spielen: schließlich stehen gerade Berliner Lieder auf dem Programm, und da darf auch das unverwüstliche Bolle-Lied nicht fehlen: Das wird von den Jungs sauber und mit schon sehr gut artikulierten Vokalen und Konsonanten angestimmt und zugleich mit Schmackes und spontanem Grinsen. „Riesenspaß“ mache ihm das Singen, versichert Firoz nach dem Auftritt, und seine Augen leuchten noch immer. Vor anderthalb Jahren allerdings habe er seine Eltern noch gebeten, „auf keinen Fall weiterzuerzählen“, dass er im Chor angefangen habe: Denn anders als bei seinem zweiten Hobby Fußball musste er sich anfangs von seinem Schulkameraden blöde Sprüche anhören, wenn er zugab, als Junge Spaß am Singen zu haben.

Ansinge mir frisch! Der Dirigent und Chorleiter Hugo Rüdel mit den Knaben im Probenraum, 1928 fotografiert.
Ansinge mir frisch! Der Dirigent und Chorleiter Hugo Rüdel mit den Knaben im Probenraum, 1928 fotografiert.

© Staats- und Domchor Berlin

Dass sich Jungs in einem reinen Knabenchor gegenseitig Vorbilder sind, hilft sicher, sich den Spaß nicht verderben zu lassen. Der alleinige Grund dafür, dass bis heute keine Mädchen im Staats- und Domchor singen, ist es aber nicht. Keine Rolle spielt das altkirchliche Schweigegebot für Frauen und Mädchen: Das war lange obsolet geworden, als der Chor 1843 nach längerem Verfall als „Königlicher Hof- und Domchor“ neu aufgestellt wurde. Damals jedoch hatte der junge König Friedrich Wilhelm IV. in Tilsit den Chorgesang russischer Soldaten kennengelernt und befahl nun, das Ensemble nach dem Vorbild des St. Petersburger Zarenchors auszurichten.

Die Gründung eines Mädchenchors ließ lange auf sich warten

Heute spricht eine Mischung aus pädagogischen wie handfesten musikalischen Argumenten dafür, Jungen- und Mädchenstimmen getrennt auszubilden. „Die Knaben- und die Mädchenstimme entwickeln sich komplett unterschiedlich“, erläutert Kai-Uwe Jirka: „Zwischen 10 und 13 Jahren, wenn die Jungs ihr Maximum haben, sind die Mädchen in der Pubertät, trauen sich kaum auf die Bühne und die Stimme ist überlüftet und überhaucht.“ Der romantische Mädchenchorklang mit seinem großartigen Legato entwickele sich, wenn die Mädchen zwischen 13 und 18 Jahre alt seien. In dieser Zeit aber steckten wiederum die Jungs in der Pubertät. Solle der Chor, wie von der noch immer gültigen Satzung von 1922 gefordert, als Musterchor im klassischen professionellen Bereich wirken, mache die musikalische Koedukation daher keinen Sinn. Die Gründung eines Mädchenchors, der sich ausdrücklich als Partnerchor zum Knabenchor versteht, ließ lange auf sich warten: Er entstand erst 2006 – unter dem Dach der Sing-Akademie zu Berlin, deren Leitung Jirka im selben Jahr übernahm.

Abschotten wolle sich der Staats- und Domchor auf keinen Fall, erklärt Jirka: „Wir versuchen, uns in alle Richtungen zu vernetzen.“ Tatsächlich ist es auch die Bandbreite der Angebote, die den Chor von anderen Traditionsensembles wie etwa dem Leipziger Thomanerchor unterscheidet. Ob als Partner des Deutschen Symphonie-Orchesters oder der Berliner Philharmoniker, beim Staatsakt für Richard von Weizsäcker im Berliner Dom oder als Mitwirkende beim szenischen Bismarck-Oratorium in der Volksbühne – jedes Mal müssen sich die jungen Sänger in völlig anderen Räumen und Aufführungszusammenhängen bewähren. Und auch die eigene musikalische Tradition, die es bei alledem zu pflegen gilt, ist in Berlin besonders vielfältig: Schließlich wurde die Geschichte des Chors und sein Repertoire von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Johann Eccard, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Otto Nicolai und Hugo Distler geprägt.

Drei Proben in der Woche sind notwendig, um dieses Pensum bewältigen zu können. Der reine Stress? „Man muss auch gucken, dass man gut in der Schule ist, sonst schafft man das nicht“, meint Daniel, der sich mit seinen 13 Jahren schon zu den alten Hasen zählen darf. Das Singen selber helfe dagegen, nach einem Tag voller Hausaufgaben zu entspannen, ergänzt Mitsänger Clemens und schnipst mit den Fingern: „Das bringt mich von den Sachen ab – und ich bin dann wie neu.“ Dass klassische Chormusik besonders schwer verständlich oder gar schwerer zu singen sei als Pop, finden sie nicht. „Im Gegenteil“, meint der zwölfjährige Laurids sogar: Beim Pop etwa sänge man ja meistens allein, während am Chorklang alle Stimmen gemeinsam beteiligt seien.

Doch auch wenn sich die jungen Profis noch lange nicht als Superstars empfinden und von den dreien nur Laurids schon ganz sicher weiß, dass er einmal Musik studieren will: Zu den schönsten Momenten im Chor gehöre es für sie schon, wenn sie ein Solo singen dürften. Oder einmal stellvertretend für den Chor neben Dirigenten wie Simon Rattle den Applaus entgegennehmen. Sangeslustige und ehrgeizige Altersgenossen für ihren Chor zu begeistern, wäre jetzt wohl besonders leicht. Zu spät für Daniel, Clemens und Laurids. Sie selbst stehen kurz vor dem Stimmbruch.

Ausstellung: Eröffnung 7. April, 18 Uhr, Foyer Konzertsaal UdK, Bundesallee 1-12: „Berliner Jungen singen – seit 550 Jahren“ mit Tenor Jan Kobow (Tenor) und Singeknaben.

Konzerte: Am 30. Mai, 18 Uhr, UdK „Fröhlich will ich singen! 550 Jahre Chorgeschichte mit Werken von Chorleitern wie Nicolai, Mendelssohn, sowie am 31. Mai, 11 und 15 Uhr, UdK, Kurzkonzerte. Im Anschluss können interessierte Knaben zwischen fünf und sieben Jahren vorsingen

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