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Kultur: 600000 Euro Trennungsgeld für Sasha Waltz Die Schaubühne und der Tanz lassen sich scheiden

Für Jürgen Schitthelm, Direktor der Berliner Schaubühne, ist es eine „Katastrophe“, die die Existenz seines Theaters in Frage stellt. Kontrahentin Sasha Waltz sitzt blass und unglücklich in den hinteren Reihen des Sitzungssaals im Berliner Abgeordnetenhaus: So hatte sie nicht gerechnet.

Für Jürgen Schitthelm, Direktor der Berliner Schaubühne, ist es eine „Katastrophe“, die die Existenz seines Theaters in Frage stellt. Kontrahentin Sasha Waltz sitzt blass und unglücklich in den hinteren Reihen des Sitzungssaals im Berliner Abgeordnetenhaus: So hatte sie nicht gerechnet. Kultursenator Thomas Flierl spricht von einer Situation, in der alle verlieren. Und den Parlamentarieren quer durch alle Fraktionen steht die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Partei für den einen oder anderen mag keiner ergreifen – und beide auskömmlich zu finanzieren, kann Berlin sich nicht leisten.

Die Trennung der Tanzcompagnie Sasha Waltz von der Berliner Schaubühne ( Tsp. vom 2. 11.) droht alle Beteiligten zu beschädigen. Zwei Künstler von internationalem Rang, die nicht mehr gemeinsam, aber ohne einander offenbar auch nicht können: Man will sie beide halten in der Stadt, will auch das für Tanz wie Theater so taugliche Haus am Lehniner Platz nicht aufgeben, die City West als Kulturstandort erhalten und trotzdem aus dem klammen Berliner Kulturhaushalt für beide Ensembles nicht mehr bezahlen. Das Modell eines Zweispartentheaters, wie es die Schaubühne mit Ostermeier und Waltz versuchte, ist gescheitert. Und die allgemeine Sorge, der Tanz könnte mal wieder den Kürzeren ziehen, arbeitet für Sasha Waltz.

Ratlose Gesichter also gestern im Unterausschuss Theater des Berliner Abgeordnetenhauses, als die Sache Schaubühne gegen Sasha Waltz verhandelt wird, bevor sie am kommenden Mittwoch zur Entscheidung in den Hauptausschuss geht. Zuvor noch hatte man beschlossen, die Philharmoniker weiter mit Lottomitteln auf jetzigem Niveau zu fördern. Doch bei Ostermeier/Waltz ist von Trennung, Scheidung, Zwangsehe die Rede, und nur eins ist sicher: Diese „Entflechtung“, so die wohl neutralste Bezeichnung, kommt alle Beteiligten teurer als die Zusammenarbeit zuvor.

Am Ende sind tatsächlich alle Verlierer. Sasha Waltz muss mit weniger Geld auskommen, als sie sich für den Aufbau ihrer neuen Truppe erhoffte. Thomas Ostermeier bekommt für seine Schaubühne ab Januar 2006 600000 Euro weniger und muss gleichzeitig den Wegfall des Tanztheaters langfristig mit mehr Theatervorstellungen ausgleichen. Und die Berliner Parlamentarier haben sich einen neuen Haushaltstitel geschaffen, von dem sie auf Dauer nicht wissen, wie sie ihn erfüllen sollen. Und es könnte noch schlimmer kommen: Für die Jahre 2006 und 2007 erhält Sasha Waltz immerhin noch jährlich 875000 Euro Projektmittel aus dem Hauptstadtkulturfonds. Wenn diese Zusatzförderung 2008 ausläuft und auch nicht verlängert werden kann, wird das ebenfalls aus dem Berliner Kulturhaushalt zu bezahlen sein. Von den 600000 Euro, die sie nun aus dem Etat der Schaubühne erhält, stammen 400000 aus den Mitteln, die sie in die Schaubühne einbrachte, sowie 200000 aus einer Etaterhöhung von 2004. Bei Waltz’ Wirtschaftsplan wird trotzdem rund ein Drittel fehlen. Ob sie mit der jetzigen Ausstattung ihre Pläne verwirklichen kann, ist damit höchst ungewiss.

Das eigentliche Nachsehen hat jedoch die Schaubühne: Zwar wird Sasha Waltz verpflichtet, zunächst 25 Vorstellungen pro Jahr am Haus zu spielen, diese Klausel betrachten jedoch beide Seiten als Übergangsmodell, um Urheberstreitigkeiten zu vermeiden. Langfristig wird Ostermeier sein ohnehin schon unterfinanziertes Haus als reines Sprechtheater mit dem auf 11,7 Millionen Euro abgesenkten Etat betreiben müssen. Für diesen Fall hatte er schon im Vorfeld mit seinem Weggang aus Berlin gedroht. Auch Jürgen Schitthelm kündigt nun heftigen Widerstand an: „Wir werden die Entscheidung nicht akzeptieren“, sagte er gestern. „Mir ist unverständlich, wie eine Stadt wie Berlin eine Bühne mit internationaler Anerkennung so in Frage stellen kann.“

Senator Flierl weiß wohl, warum er gestern so eindringliche Bitten an die Adresse der Schaubühne richtete, mit der Situation doch konstruktiv umzugehen und nicht die Nerven zu verlieren. Man brauche die Truppe unbedingt in der Berliner Theaterlandschaft. Für das Ensemble vom Lehniner Platz ist das nurmehr ein Lippenbekenntnis.

Christina Tilmann

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