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Allein gegen die Übermacht. Kämpfer der polnischen Heimatarmee auf einem kolorierten Bild aus dem Film „Warsaw Rising“.

© Museum Warschauer Aufstand 1944

75 Jahre Warschauer Aufstand: Widerstanden in Ruinen

Alle kämpfen mit: Die Topographie des Terrors erinnert an den Warschauer Aufstand von 1944, der sich 63 Tage gegen brutal vorgehende Deutsche halten konnte.

Die Kamera gleitet über die Weichsel, passiert zerstörte Brücken, schwenkt nach links hinüber in die Stadt und zeigt: Trümmer, Trümmer, Trümmer. Schutthalden türmen sich, Mauerreste ragen wie Finger auf. Doch je mehr das Zentrum näher rückt, desto weniger Halt findet das Auge. Am Ende markieren nur noch Umrisse auf dem Boden, wo Häuser standen, Plätze waren, Straßen verliefen. So sah Warschau 1945 aus: wie ausgelöscht. Nur 20 Prozent der polnischen Hauptstadt waren erhalten, die deutschen Besatzer hatten sie systematisch dem Erdboden gleichgemacht.

Der Film, unterlegt mit getragener klassischer Musik, gleicht einem Requiem. Er ist in einem kleinen Pavillon am Ende einer Ausstellung zu sehen, mit der die Topographie des Terrors an den Warschauer Aufstand vor 75 Jahren erinnert. Am Anfang steht ein Zitat des SS-Chefs Heinrich Himmler, der während des Aufstands befahl, Warschau restlos zu zerstören: „Dann wird das polnische Problem für unsere Kinder, für alle, die nach uns kommen, ja schon für uns kein großes Problem mehr sein.“

Polen war nach dem deutschen Überfall 1939 von der Landkarte verschwunden, Deutschland und die damals mit ihm verbündete Sowjetunion hatten es zerschlagen. Die Teile des Landes, die Deutschland nicht annektierte, wurden im Generalgouvernement mit der Hauptstadt Krakau zusammengefasst und gnadenlos ausgebeutet. 1942 begann die Errichtung von Vernichtungslagern auf polnischem Boden. Von den sechs Millionen ermordeten Juden waren fast drei Millionen polnische Staatsangehörige.

Der Aufstand als Zeichen für die Unabhängigkeit Polens

Doch 1944 schien das Ende der Unterdrückung zum Greifen nah. Die im Juni begonnene Operation Bagration, benannt nach einem sowjetischen General, hatte zum Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte geführt, am Warschauer Stadtrand war bereits das Grollen von Geschützen zu hören. „Wir wollten frei sein und diese Freiheit uns selbst verdanken“, erinnerte sich später Jan Stanislaw Jankowski, einer der führenden polnischen Politiker im Untergrund.

Der Aufstand, der am 1. August 1944 begann, sollte ein Zeichen für die Unabhängigkeit Polens setzen, auch gegenüber den Sowjets, die 1940 beim Massaker von Katyn einen Großteil des polnischen Offizierskorps hatten ermorden lassen. Getragen wurde die Erhebung von der Armia Krajowa, der polnischen Heimatarmee, der sich mehr als 300 000 Partisanen angeschlossen hatten. Die Soldaten, die Hunderttausende Sabotageakte begangen hatten, standen in Verbindung mit der polnischen Exilregierung in London.

Die Ausstellung kommt aus Polen, sie ist vor fünf Jahren vom Museum des Warschauer Aufstands erarbeitet worden und war damals auch in Berlin zu Gast. Zu sehen ist sie open air im Ausstellungsgraben der Topographie, vor den Überresten der Gefängniskeller des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers. Gezeigt werden vor allem Fotos, aber auch die rotweiß gestreifte Armbinde der Kämpfer und einige teilweise abenteuerlich zusammengebastelte Waffen.

Auf acht Soldaten kam eine Pistole

„Alle kämpfen mit. Großartige Stimmung auf den Warschauer Straßen“, schrieb eine der zahlreichen Zeitungen, die in den befreiten Teilen der Stadt erschienen. Den Aufständischen gelang zunächst ein Überraschungscoup, sie brachten große Teile des Innenstadt unter ihre Kontrolle. Allerdings waren sie kläglich ausgerüstet, auf acht Soldaten kam eine Pistole, auf 150 ein Maschinengewehr. Die Lebensmittelvorräte reichten nur für wenige Tage, weil das Wasser knapp wurde, begann man in Hinterhöfen Brunnen zu graben. Trotzdem konnten sich die Aufständischen 63 Tage halten, gegen die äußerst brutal vorgehenden Deutschen. Himmler verbot Gefangene zu machen, „jeder Bewohner ist zu töten“, er wollte ein „Beispiel für ganz Europa statuieren“.

[Topographie des Terrors, bis 13. Oktober, täglich 10–20 Uhr]

Die Hoffnung, dass die Rote Armee zugunsten der Polen eingreifen würde, erwies sich schnell als illusorisch. Zunächst war Stalins Panzeroffensive ins Stocken geraten, dann schaute der Diktator lieber dabei zu, wie die polnische Opposition ausgerottet wurde. Die Exilregierung war ihm verhasst, die überlebenden Köpfe des Aufstands wurden nach dem Einmarsch seiner Truppen im kommunistischen Polen weiter verfolgt. Jan Stanislaw Jankowski, der für ein freies Polen eingetreten war, wurde 1953 hingerichtet. Und die Westalliierten ließen ihre Flugzeuge nur einige Lieferungen Lebensmittel und Waffen abwerfen, von denen viele beim Feind ankamen.

Der Warschauer Aufstand, bei dem 18 000 Soldaten und zwischen 100 000 und 150 000 Zivilisten starben, prägt bis heute die polnische Erinnerungskultur. Ihre Hauptstadt haben die Polen prachtvoll wiederaufgebaut, ein Triumph der Baukunst über die Barbarei.

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