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Julius Leber, ein enger Vertrauter Stauffenbergs, wird am 20. Oktober 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt.

© Gedenkstätte Deutscher Widerstand

75. Jahrestag des Umsturzversuchs: Haltung und Handlung

Widerstand in der Diktatur und in der Demokratie – Zur Klärung eines Begriffes aus Anlass des 75. Jahrestags des Umsturzversuchs gegen Hitler.

Sophie von Bechtolsheim hat Geschichte und Kommunikationswissenschaft studiert. Die Enkelin von Claus Graf Stauffenberg ist als Mediatorin tätig und engagiert sich im Kuratorium der Stiftung 20. Juli 1944. Im Juni 2019 erschien ihr Buch „Stauffenberg, mein Großvater war kein Attentäter“ im Herder Verlag.

Wir Deutschen blicken auf zwei Diktaturen in der jüngsten Geschichte zurück. Wer sich damit beschäftigt, stößt auf Menschen, die sich damals der Gleichschaltung in beiden totalitären Systemen widersetzten. Warum sollten wir uns heute mit den Motiven und Handlungen jener beschäftigen, die sich gegen das nationalsozialistische Regime und gegen die SED-Herrschaft in der DDR wehrten? Was ist Widerstand überhaupt?

Widerstand ist zunächst weder gut noch schlecht, er bedeutet schlicht ein Dagegensein. Eine Wertung erfolgt erst, wenn wir betrachten, wogegen sich der Widerstand richtet, mit welchen Motiven er geschieht, welche existentiellen Gefahren der Widerständige auf sich nimmt, und welche Alternativen er entwickelt. Nicht nur die Frage, wogegen sich Widerstand richtet, ist wichtig, sondern auch die Frage: Wofür? Es geht also nicht nur um die Destruktion des Übels, sondern auch um den konkreten Einsatz für das Gute.

So kann es nicht verwundern, dass die Bewertung des Widerstands immer auch von politischen Tendenzen abhängt, von der Interpretation des „Übels“ und des „Guten“. Die Gefahr besteht, dass Haltungen, Motive und die Persönlichkeiten des Widerstands selbst politisch instrumentalisiert und vereinnahmt werden. Dies sagt mehr über aktuelle gesellschaftspolitische Vorstellungen aus, als über die, die in ihrer Zeit versuchten, Handlungsspielräume gemäß ihrer Überzeugungen zu entwickeln.

Nicht verhandelbar

Die Menschen, die mit der Staatsmacht in beiden Diktaturen in Konflikt gerieten, waren nicht bereit, sich in Gänze der auf Ideologien basierenden Staatsdoktrin zu unterwerfen. Ideologien degradieren die Person zum Objekt: der einzigartige Mensch, seine Würde zählen nichts. Daseinsberechtigt ist nur der, der als winziges Rädchen im Getriebe zur Vollendung des ideologischen Gesellschaftskonstrukts funktioniert. Zum Staatsfeind wird jeder, der dieser verheißenen Vollendung im Weg steht, entweder durch seine Abstammung, seine Herkunft, seine ethnische, konfessionelle oder soziale Zugehörigkeit. Zu Staatsfeinden werden aber auch die, die wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen dem ideologischen Gesellschaftsmodell im Weg stehen. Die Folgen solchen Seins und Tuns sind: Beschneidung der Freiheitsrechte, Unterdrückung, Verfolgung und Gewaltanwendung bis hin zur Vernichtung – dies alles, um die ideologisch definierte Volksgemeinschaft zu ihrem „Glück“ zu zwingen.

Artikel 1 unseres Grundgesetzes besagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Sie ist nicht verhandelbar, sondern dem Menschen aufgrund seiner bloßen Existenz zu eigen. Die Grund- und Freiheitsrechte stehen in freiheitlichen Verfassungen unter dem besonderen Schutz des Staates. Freiheit und Recht, der Schutz der Menschenwürde sind allerdings keine Selbstläufer, wie uns die Geschichte und der Blick auf das heutige Weltgeschehen lehren.

Die innere Freiheit ermöglicht dem Menschen, sich mit dem eigenen Anspruch an Integrität auseinanderzusetzen. So können wir handeln, wie es unserer moralischen Haltung entspricht. In Diktaturen bedeutet dies meist, in Widerstreit gegen Ideologie und Staatsmacht zu geraten.

Der kleine Einsatz

In einer freiheitlichen Demokratie bedeutet dies, sich für den Fortbestand und den Schutz von Recht, Freiheit und Menschenwürde einzusetzen. Wichtig ist, dass sich Bürger eines freiheitlichen Staatswesens ihrer aktiven Handlungsmöglichkeiten bewusst sind und nicht als passiv Handlungsunfähige unterschätzen. Wir Bürger werden unserer Verantwortung nur gerecht, wenn wir bereit sind, uns persönlich im Rahmen unserer Möglichkeiten für ein friedliches, gerechtes, würdevolles Zusammenleben einzusetzen. Dazu dürfen wir die Verantwortung und die Schuld an Missständen nicht ausschließlich anderen zuschreiben.

Auch der kleine Einsatz, der aus persönlicher Überzeugung gespeist ist und Haltung wie Handlung repräsentiert, entfaltet eine Wirkung nach außen.

Legitimen Widerstand gibt es auch in freiheitlichen Demokratien; es gibt auch in der Bundesrepublik ein Dagegensein; es gibt Opposition, es gibt sogar Empörung. Allerdings gibt es auch diesen anderen Widerstand, den vormals die Antifa oder heute die neue Rechte für sich beansprucht, einen Widerstand, der das Recht wieder einer Ideologie opfert. Der Widerstand Claus Graf Stauffenbergs und der Mitverschwörer richtete sich vor 75 Jahren gegen solche menschenverachtenden Ideologien. Dass sie dafür ihr Leben einsetzten, hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Deutschen wieder ihren Platz in der Gemeinschaft der Völker einnehmen konnten und dass wir heute in Deutschland in einer freiheitlichen, die Menschenwürde achtenden Gemeinschaft leben dürfen.

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