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Kultur: 95 Prozent Prinzip Hoffnung

Noch nie wurde so viel über Kunst diskutiert

Berlin verfügt über eine Kunstszene, die in Europa ihresgleichen sucht. Führende Galerien besitzen hier Dependancen, namhafte Künstler wenigstens einen Zweitwohnsitz. Vom internationalen Renommee her hat man den Standort Rheinland überholt. „Nur das Geld müssen wir außerhalb der Stadt verdienen,“ so Werner Tammen, Vorsitzender des Landesverbands Berliner Galerien, bei einer Diskussion zum Thema „Sammlungspolitik und Verkaufsstrategien von Galerien und Museen“. Eingeladen hatte Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das gespannte Verhältnis zwischen Politikern, die sich mit dem Kunstmarkt schmücken, und den Kulturschaffenden selbst brachte Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie, auf die Formel „Unwissenheit schützt vor Bewilligung“.

Ihre mangelnden Kenntnisse aber scheinen Politiker jeglicher Couleur derzeit in Intensivkursen abbauen zu wollen. Allein in Berlin standen innerhalb einer Woche gleich drei Kunstmarkt-Foren auf dem Programm. Beim Düsseldorfer „Kulturwirtschaftstag Nordrhein-Westfalen“ tagten fast 300 Kunstexperten aus dem gesamten Bundesgebiet. Derart geballtes Engagement lässt aufhorchen: Beginnen Politiker tatsächlich umzudenken? Oder vertreiben sie sich die Zeit zwischen den Wahlkämpfen mit kulturpolitischen Sonntagsreden?

Ein Glanzstück in Letzterem bot die Berliner FDP-Fraktion: Eigentlich sollte „Der Galerist als Katalysator wirtschaftlichen Erfolgs von Künstlern“ beleuchtet werden. Doch die angekündigte Diskussion wurde ans Buffet verlegt, und die kurzen Statements des Podiums müntzte man flugs in die FDP-Devise um, dass ein gut funktionierender Kunstmarkt besser sei als jede staatliche Künstlerförderung. Gegen magere Umsätze empfahl die kulturpolitische Sprecherin Sibylle Meister den Galeristen: „Der Kunde möchte neben den Kunstwerken Preisschilder sehen.“

Die politische Konkurrenz dagegen verhandelte die Materie mit mehr Kompetenz. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse forderte im Willy-Brandt-Haus, in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche die Kunst ernst zu nehmen und den Kulturstaat zu verteidigen. Zur „Lage der bildenden Kunst (nicht nur) in Ostdeutschland“ hatten das Forum Ostdeutschland und das Kultuforum der Sozialdemokratie geladen. Einleitend konzedierte Minister Manfred Stolpe bereits, dass sich Ost und West zumindest im Spannungsfeld von Überlebenskunst und künstlerischem Erfolg angeglichen hätten. Gerhard Pfennig von der VG Bildkunst und der Stiftung Kunstfonds brachte es auf den gesamtdeutschen Punkt: „Fünf Prozent können von ihrer Kunst leben, der Rest lebt vom Prinzip Hoffnung.“

Selbst die von der Künstlersozialkasse veröffentlichten 11000 Euro Jahreseinkommen werden von den Berufsverbänden für unrealistisch gehalten. In Sachsen ergab eine Umfrage, dass Künstler mit ihrer Kunst monatlich 370 Euro verdienen, in Berlin liegt man mit 750 Euro immerhin über dem Existenzminimum. Während der Berufsverband Bildender Künstler noch von gesetzlich verankerten Ausstellungshonoraren träumt, sehen Kulturpolitiker bereits den Status quo in Gefahr. Denn die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Kunstwerke, die Finanzierung der Künstlersozialkasse oder das Folgerecht stehen auf dem Prüfstand.

So sollte man die Volksvertreter bei politischen Entscheidungsfindungen nicht alleine lassen. Die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ verhandelt zur Zeit Möglichkeiten zur Förderung auf Bundesebene, in Berlin wird der erste Kulturwirtschaftsbericht von den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Kultur erstellt. Dabei sollen übergreifende Förderlösungen erarbeitet werden. Ob harte Fakten zum „weichen Standortfaktor“ Kultur das Politiker-Bewusstsein erhellen, bleibt abzuwarten. Die 200-seitige Studie soll im April vorgestellt werden. Das wäre ein Anfang.

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