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Kultur: 99-Tage-Kaiserin

Die Berliner Malerin Anita Staud porträtiert Kaiserin Viktoria

Manchmal kann man sie kaum mehr erkennen. Gaseschleier, Leim und Sand verhüllen Vicky – Kronprinzessin Viktoria – Kaiserin Friedrich. Oder leuchtende Farbpunkte überziehen das Porträt wie einen gestörten Bildschirm. Die Wirkung ist paradox: Je weniger man sieht von der preußischen 99-Tage-Kaiserin, umso stärker scheint ihre Präsenz. Und wenn Anita Staud die Porträtkopien mit Strichen schwarzer Tusche umschreibt, umwirbt, umtanzt, versetzt sie sie sogar in Bewegung, befreit sie sie aus dem Korsett. Eine leere Leinwand, ein weißes Papier interessiert Anita Staud nicht. Malerei ist für sie nicht schwarz auf weiß gesetzte Behauptung. Mit Hilfe von Pinsel, Bleistift, Transparentpapier und verschiedenen Deckmaterialien erkundet sie historische Dokumente, bringt diese zum Erzählen. Zur Zeit lebt die Berliner Künstlerin im Anton-von-Werner-Haus an der Potsdamerstraße. Da ist der Weg zur Kaiserin nicht weit, denn jener war Hofmaler und deren Lehrer. Doch auf welchem Dachboden mag sie die Dokumente aufgestöbert haben, aus denen die zweite Werkreihe hervorgegangen ist, die derzeit in der Galerie Mae gezeigt wird? Es sind Lohnsteuerkarten aus den Jahren 1939-1946. Die Rubriken „eisernes Sparen“, „Versicherungspflicht“ sind mit gestochen scharfer Schrift ausgefüllt, jede Aus-zahlung ist fein säuberlich quittiert. Das enge Gitterraster provoziert die Künstlerin zuerst zu einer heftigen Geste: Rote Herzen setzt sie mitten hinein, in alle Richtungen fein ausspritzend. Auf diesem Hintergrund entsteht dann Raum für figürliche Bleistiftzeichnungen. So bekommen die ehemaligen Arbeitnehmer – als „Stenotyp.“ oder „Hausw. + Aufwtg.“ bezeichnet – auch als Unbekannte und Abwesende eine eigene, unverwechselbare Identität. Simone Fässler

Duncker Str. 2, bis 12. Oktober, Mi-Fr 15-20 Uhr, Sa 15-18 Uhr

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