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Kultur: Ab in die Einzelzelle

Nie macht man es Kritikern recht, wenn es um Politik im Film geht. Sie schimpfen, wenn man historische Ereignisse wie Pearl Harbor oder Dresden aufs Actionspektakel reduziert.

Nie macht man es Kritikern recht, wenn es um Politik im Film geht. Sie schimpfen, wenn man historische Ereignisse wie Pearl Harbor oder Dresden aufs Actionspektakel reduziert. Sie schimpfen, wenn man das US-Militär verherrlicht und sie schimpfen, wenn man es dämonisiert, das haben zuletzt die Doppelverrisse zu „World Trade Center“ und „Road to Guantanamo“ gezeigt. Ein Glücksfall auf dem Gebiet des politischen Films ist Péter Gothárs Die Zeit bleibt stehen (1982) – vielleicht weil es sich über weite Strecken um einen normalen Jugendfilm handelt: mit erster Liebe, Rivalität unter Freunden, strengen Lehrern, einer attraktiven Lehrerin, Hits von gestern und einem Hauch Nostalgie (Sonntag im Zeughaus-Kino). Nur spielt der Film 1963 in Ungarn – und schildert die Folgen des Volksaufstands, zu dessen 50. Jahrestag er gezeigt wird. Wobei das Aufbegehren der Schüler nicht so lustig ist wie in üblichen Paukerfilmen: Sie treten gegen knallharte Stalinisten an, und im Ernstfall landen sie in einer kalten Einzelzelle.

Dagegen ist Deutschland im Herbst (1978) ein Musterbeispiel dafür, wie politisches Kino nicht aussehen sollte: vordergründig, voller Pathos und Selbstmitleid (Dienstag im Arsenal). Aber mittendrin in dem Kollektivfilm gibt es diese unmöglich exhibitionistische, schamlose, legendäre Fassbinder-Episode, vom Regisseur und seinem damaligen Lebensgefährten Armin Meier nackt gespielt, ein richtiges Home Movie, schnell heruntergedreht in ihrer gemeinsamen miefigen Wohnung in München. Radikal privat und zugleich politisch, bringt Fassbinder die Angst vor der totalen Überwachung und einer Eskalation der Polizeigewalt auf den Punkt. Seine Mutter Lilo Pempeit spielt sich selbst und gibt erschreckend unbefangen das „gesunde Volksempfinden“ zum Besten.

Der unlängst verstorbene DEFA-Regisseur Frank Beyer, dessen Filme sonst immer vor einem Polit-Hintergrund spielten, inszenierte mit Bockshorn (1983) ein allegorisches Road Movie über zwei Jungen, die durch ein kapitalistisches Land trampen (Mittwoch im Babylon Mitte). Gedreht wurde in den USA und auf Kuba, mit Laien in den Hauptrollen, aber die attraktiven Schauplätze konnten nicht verhindern, dass das jugendliche Publikum fernblieb, irritiert von Beyers Schutzengel-Symbolik. Heute macht gerade das Scheitern den Reiz des Films aus, der als einzige Arbeit des Regisseurs völlig unbekannt geblieben ist.

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