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Kultur: Abbau ahoi!

Was ist der Unterschied zwischen dem Bundesland Brandenburg und Joghurt? Joghurt hat lebende Kulturen.

Was ist der Unterschied zwischen dem Bundesland Brandenburg und Joghurt? Joghurt hat lebende Kulturen.Das finden die Schauspieler und Musiker, die (noch) rund um Berlin in den sechs Theatern und sieben Orchestern ihrem Beruf nachgehen, vermutlich gar nicht witzig.Und doch trifft der Kalauer die Situation ziemlich präzise.Denn im Laufe der letzten Jahre wurden die Kultureinrichtungen im armen Bundesland Brandenburg derart abgespeckt, daß sie sich inzwischen verdammt fettarm fühlen.Das macht sauer.

Ein paar Beispiele: In Frankfurt an der Oder wurde erst der Chor, schließlich die gesamte Musiktheatersparte abgebaut.In Brandenburg darf man zwar noch ein stolzes Ballett mit fünf Tänzerinnen und einem Trainingsmeister sein eigen nennen, dafür hat man aber kein Sprechtheater mehr.In Potsdam wurde die Oper abgeschafft, Cottbus kam mit der Schließung des Balletts bislang noch am glimpflichsten weg.Senftenberg, gleich nach der Wende vom Drei-Sparten-Haus auf ein Kinder- und Jugendtheater umgestellt, kämpft ebenso ums Überleben wie die Uckermärkischen Bühnen in der Retortenstadt Schwedt.

Parallel zu diesem Kleinschrumpfungsprozeß wurden im Haus des brandenburgischen Kulturministers Steffen Reiche Kooperations- und Fusionsmodelle in allen nur denkbaren Kombinationen durchgespielt: Potsdam und Brandenburg sollten zusammengehen, ebenso Cottbus und Frankfurt, dann wieder kam die Idee auf, die 135 Kilometer voneinander entfernt arbeitenden Konzertorchester des Landes in Potsdam und Frankfurt zu fusionieren.Reiches neuester Plan ist eine Holding über drei Standorte hinweg: In Brandenburg soll Oper gemacht werden, in Potsdam Sprechtheater, und Frankfurt soll Zentrum der Symphonik werden - und dafür auf sein Theater verzichten, ebenso wie Potsdam auf sein Orchester.Vielleicht.Wie genau das Holding-Modell aussehen wird, soll Ende Februar bekanntgegeben werden.Im Gespräch mit dem Sender WDR 3 bezeichnete Reiche die Potsdamer Orchesterschließung jedoch als "sinnvolle Denkvariante".

Die ehemalige Musenresidenz des alten Fritz ohne eigenes Orchester? Denkbar ist in Brandenburg alles.Wenn da nicht der Ausbau des Nikolaisaales mit 700 Plätzen in der Potsdamer Innenstadt wäre.Für 28 Millionen Mark geht hier gerade die Renovierung in die Endphase.Wenn es so kommt, wie von Reiche geplant, wird die Brandenburgische Philharmonie Potsdam im Nikolaisaal wohl nicht mehr auftreten.Ähnlich präsentiert sich die Situation in Frankfurt an der Oder: Dort soll 2001 ein hypermodernes Kulturzentrum im Herzen der Stadt eröffnet werden.70 Millionen Mark - zum großen Teil Gelder aus Strukturförderprogrammen der EU - fließen in den multifunktionalen Bau, der eigentlich auch das Kleist-Theater beherbergen sollte, das derzeit noch in einem Vorort-Provisorium residiert.Doch auch das Frankfurter Theater würde es bei der Eröffnung des City-Kultur-Centers nach Reiches Vorschlägen nicht mehr geben.

So paradox es klingt: Auch in der Stadt Brandenburg entsteht derzeit für 26 Millionen, ebenfalls zum größten Teil aus EU-Töpfen, ein Kultur- und Kongreßzentrum, das auch vom Theater als "großes Haus" genutzt werden soll.Bislang steht den Brandenburgern für ihre Opernaufführungen nämlich nur eine Studiobühne mit knapp 250 Plätzen zur Verfügung.In Potsdam dagegen wurde gerade einmal wieder der Ausbau des vor Jahren von der Baupolizei geschlossenen Hans-Otto-Theaters gestoppt.Obwohl allen klar ist, daß die Bauarbeiten unverzüglich beginnen müssen, damit das Theater nicht ganz ohne Haus dasteht, wenn 2002 die "Blechbüchse", eine Behelfsspielstätte aus Wellmetall am Alten Markt, definitiv wieder abgerissen wird.Doch die alleinregierende SPD will die gut 30 Millionen, die Potsdam für ein neues Hans-Otto-Theater bereitstellen müßte, nicht freigeben.

Der einzige, der bei diesem brandenburgischen Trauerspiel nicht verzweifelt, ist Kulturminister Steffen Reiche.Mit Mut zum Paradoxen wiederholt er unablässig sein Credo: "Kein Kulturstandort im Land darf geschlossen werden." Auch wenn diese Politik dazu geführt hat, daß die Brandenburger Landkarte nurmehr von Häufchen kulturellen Elends geziert wird - Reiche kann nicht anders handeln.Denn er ist neben seinem Job als Minister auch noch Vorsitzender der SPD in Brandenburg und als solcher natürlich zur haushaltspolitischen Vortänzerrolle verpflichtet.Kein Wunder, daß Reiche über sein Holding-Modell nicht zuerst mit den betroffenen Intendanten, sondern mit den SPD-Bürgermeistern von Potsdam, Brandenburg und Frankfurt geredet hat.Vermutlich darüber, wie man es unter Fortsetzung des Sparkurses bewerkstelligen kann, daß keine Kommune in der Öffentlichkeit als künftig kulturlose Banausenstadt dastehen muß.

Geht man davon aus, daß in Zukunft der Kulturetat weiter schrumpfen wird - nichts spricht leider dagegen -, dann kann nur ein radikaler Schnitt die Musik- und Theaterkultur in Brandenburg noch retten.Die Lösung des Problems führt über die Antwort auf zwei Fragen: Welches ist die notwendige Bedingung für die Landeskultur, welches die hinreichende? Unabdingbar für das Überleben der Kulturinstitutionen ist die Rückgewinnung der lost generation, die nach der Wende von dem staatlich verordneten Theater- und Konzertbesuch zum TV-, Video- und Nintendo-Konsum gewechselt ist.Wer erlebt hat, wie eine Horde Pubertierender aus Hoyerswerda im Theater von Senftenberg während des ersten Akts von "Hamlet" zu einer Gemeinschaft staunender Theater-Entdecker wurde, weiß, daß Künstler zu streetworkern werden können.Wer es nicht schafft, durch Basisarbeit Hemmschwellen abzubauen, braucht sich nicht zu wundern, wenn Jugendliche André Rieu für einen Virtuosen der Klassik und das "Phantom der Oper" für modernes Musiktheater halten.Alle Schauspielhäuser in Brandenburg haben das inzwischen erkannt und leisten Beachtliches im Kinder- und Jugendtheater-Bereich.

Was die Versorgung des Landes mit sogenannter Hochkultur angeht, kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, dafür sei Berlin zuständig: Sei es, indem Brandenburger in die Hauptstadt reisen, sei es, daß die Berliner Kulturmacher nach Brandenburg gehen.Wer sagt denn, daß die schicken Multifunktions-Hallen in Brandenburg und Frankfurt, daß der Potsdamer Nikolaisaal nicht auch zur Zufriedenheit der Brandenburger mit Gastspielen der Berliner Staatskapelle, des Deutschen Theaters oder studentischer Opern-Produktionen der Berliner Musikhochschulen bespielt werden können? Und zwar erheblich billiger - und besser - als durch die einheimischen Ensembles, die zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel haben.

Sollten die brandenburgischen Politiker allerdings noch einen Funken Lokalpatriotismus im Leib haben, würden sie sich für die Gründung eines Landestheaters entscheiden, für eine wirklich gute, finanziell angemessen ausgestattete Truppe, die mit hochqualitativen großen Schauspiel- und Opernproduktionen die Basisversorgung zwischen Senftenberg und Frankfurt ergänzt.Dünnbesiedelte Flächenstaaten wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aber auch die Holländische Reise-Oper und die Glyndebourne Touring-Opera in England haben vorgemacht, wie so ein Modell funktionieren kann.

Angesichts des kulturfeindlichen Klimas in Potsdam bietet sich das Cottbuser Staatstheater als Sitz einer Landesbühne durchaus an.Gesegnet mit einem der schönsten Jugendstil-Gebäude Deutschlands, wird hier unter dem Intendanten Christoph Schroth und seinem Operndirektor Martin Schüler derzeit das mit Abstand anspruchsvollste (Musik-)Theater im Land gemacht.Als Ergänzung im Bereich des Nachwuchses wäre zudem ein Ausbau der Rheinsberger Opernaktivitäten denkbar: Die Rekonstruktion des Schloßtheaterchens, die im Jahr 2000 abgeschlossen sein soll, eröffnet die Möglichkeit, hier neben dem sommerlichen Open-Air-Festival eine ganzjährig arbeitende Opernwerkstatt zu schaffen, die jeweils mit neuen Besetzungen kleiner dimensionierte Werke des Repertoires erarbeitet und landesweit präsentiert.

Doch so ein Schritt erfordert Mut zur Auswahl nach künstlerischen Kriterien und planerisches Durchhaltevermögen: Eine Übergangszeit von mindestens fünf Jahren ist schon aus Gründen des Kündigungsschutzes unabdingbar.

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