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Kultur: Abgrundstiefe

ALL THAT JAZZ Christian Broecking über den Jazz-Denker Eric Hobsbawm Distribution ist alles, murmelt die schwarze Avantgarde, die bei dem britischen Sozialhistoriker nicht gut wegkommt. Eric Hobsbawm , Jahrgang 1917, favorisiert folgende Formel: ohne Radio keine weltweit verbreitete „Negro Music“, ohne Blues kein Rock’n’Roll.

ALL THAT JAZZ

Christian Broecking über

den Jazz-Denker Eric Hobsbawm

Distribution ist alles, murmelt die schwarze Avantgarde, die bei dem britischen Sozialhistoriker nicht gut wegkommt. Eric Hobsbawm , Jahrgang 1917, favorisiert folgende Formel: ohne Radio keine weltweit verbreitete „Negro Music“, ohne Blues kein Rock’n’Roll. Schon Ende der Fünfzigerjahre erschien sein soziologisch orientiertes Buch „The Jazz Scene“, damals noch unter dem Pseudonym Francis Newton. Es sind die sozialen Abgründe im modernen Kapitalismus, die Hobsbawm in seinen Büchern vorführt. Als Rezensent für die „New York Review of Books“ hat er immer wieder wichtige Jazzbücher besprochen. Es geht ihm um den Jazz als die Musik armer Schwarzer, um die afroamerikanischen Elendsbezirke als Entwicklungszentren großer Künstler, um eine Kunst, die nicht in den abendländischen Kanon passen will. Ein Kernsatz dazu stammt von einem Musiker aus dem Duke Ellington Orchestra: „Eigentlich wollte ich nur ein erfolgreicher Zuhälter werden, aber dann stellte ich fest, dass ich blasen konnte.“

Jazz lebte von Kunden, die zahlten. Das trennte diese Musiker auch von den so genannten Künstlern. Zu den Paradoxien des Authentischen, die Hobsbawm hervorhebt, gehört, dass zwei der bekanntesten Vertreter des Kansas City Sounds, Count Basie und der Sänger Jimmy Rushing, erst noch den Blues erlernen mussten, den das schwarze Ghettopublikum von ihnen hören wollte. Hobsbawm bezeichnet Adornos Thesen über die Schlechtigkeit des Jazz als „einige der dümmsten Seiten, die je über Jazz geschrieben wurden“. Rap und HipHop mag Hobsbawm nicht, das schwarze Publikum habe das Interesse am Jazz schon vor vierzig Jahren verloren. Am Mittwoch (19.30 Uhr) stellt Eric Hobsbawm seine Autobiografie „Gefährliche Zeiten“ im dbb-Forum vor (Friedrichstr. 169/70, Eintritt ist frei, aber Karten müssen vorbestellt werden: Tel. 408140).

Als thematisch bezogene Einstimmung kann man sich am Dienstag (22 Uhr) die afroamerikanische New-Jazz-Poetress Ursula Rucker im Quasimodo anhören. Sie textet über das schwarze Amerika von heute und die Sehnsucht, ja, den Anspruch der Menschen auf Glück.

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