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Kultur: Abheben, aber nicht fliegen

Autoerotik: In stürmischer Zeit eröffnet Porsche sein Sportwagenmuseum in Stuttgart. 200.000 soll der Mythos im Jahr anlocken. Die Eröffnung ist am 31. Januar.

Der neue fliegende Diamant von Stuttgart muss ein Senkrechtlander sein. Nur der Luftraum ist frei. Eng geht es zu im Stadtteil Zuffenhausen zwischen S-Bahnhof, Autokreisel, Ausfallstraße und verschiedenen Porsche-Verwaltungsgebäuden. Der schwebende Körper des neuen Porsche-Museums – drei V-Stützen balancieren ihn über dem Erdgeschoss – ist eingekeilt. Einzig gegen die angrenzenden Gleise kann „der Flieger“ (so die Architekten) sein Formexperiment mit 40-Meter-Auskragung atmosphärisch ausleben. Nach vorn wirkt er so kompakt wie ein Krebs mit eingezogenen Scheren.

Dabei hat der Bauherr nichts zu verstecken. Der Marke geht es verglichen mit der Branche noch gut. Das Museum ist Porsches wichtigstes Designstatement seit dem „Cayman“ (2005) und vor dem „Panamera“ (2009). Trotzdem werden die Chefs wohl bedauert haben, dass das spektakulärste Immobil erst zwei respektive drei Jahre nach BMW Welt und Mercedes Museum öffnet. Bei den anderen Openings war noch Party -Laune.

Nun führt das neue Porsche Museum – erbaut vom Wiener Ehepaar Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan – einer automobilen Welt im Schockzustand mit Hilfe von 23 000 PS eine Markengeschichte vor, während diese Welt längst über SUV und Sportflitzer lästert und deren Dinosaurierschicksal an die Wand malt. Den „Cayenne“ zu zeigen, hat man sich deshalb auch nicht mehr getraut.

Eine Schatztruhe ohne Aus- und Einblicke

200.000 Besucher soll der Mythos – ab 31. Januar geöffnet – im Jahr anlocken. Die Kosten für die 7500 Quadratmeter Ausstellungsfläche, Restaurants, Konferenzzentrum und Archiv schwollen von 50 auf 100 Millionen Euro an. Vom Traktor über den ersten Volkswagen und den Ur-Porsche „Typ 64“ generiert sich – choreografiert vom Designer H. G. Merz, der schon das Mercedes Museum eingerichtet hat – ein chronologischer Parcours. Dessen ersten Teil, bis 1948, kann man als persönliche Historie des Konstrukteur-Designers Ferdinand Porsche begreifen. Part zwei – mit Prototypen wie 356, 911 und T 7, genialen Rennwagen und legendären Leichtbaukarossen, mit Boxsters, Roadsters, Targas und Carreras – erzählt, frei von Serienfahrzeugen, die große Sportwagen-Saga. In kleinen verglasten Raumhöhlen soufflieren Spielzeugautos und Accessoires wie die Erstausgabe eines Porsche-Magazins von 1952 Zeitgeschichte.

Die Architekten sollten das Haus als Schatztruhe inszenieren: ohne Aus- und Einblicke. Drinnen folgt die Auto-Ausstellung etwas bemüht dem Motiv einer Spirale. Der strahlend weiße Großraum wirkt eher durch Weite, als sackgassenfreie Arena. Der Besucher kann die Spirale auslaufen oder via „Shortcuts“ abkürzen – dabei passiert er 120 Helden auf vier Rädern, die meist sockellos arrangiert sind, weil sie im „rollenden Museum“ immer freie Fahrt zum Lastenaufzug brauchen. Denn die Preziosen sollen regelmäßig bei „Targa Tasmania“ oder „Mille Miglia“ Aufsehen erregen. Eine Schauwerkstatt im Erdgeschoss sorgt für stete Fahrtüchtigkeit.

Gesetze der Statik werden ausgereizt

Delugan Meissl Associate Architects (DMAA) planten schon horizontale Wolkenkratzer an der Donau und Wohnhäuser mit Liegelandschaften und Badewannen-Cockpits, ehe sie diesen Prestigeauftrag in Süddeutschland an Land zogen. Sie glänzen oft da, wo andere versagen: Es gibt von ihnen zwischen Wien, Kärnten und Lech herausragende Sozialbauten, gnadenlos elegante Space-Villen und ein Alpenapartment mit innerem Gegengebirge. Grundrisse entwickeln sie aus den Wohnzimmern heraus. Dabei lösen sie die Hierarchie von Architektur und Mobiliar auf. Alles für den Raumfluss, lautet ihr Mantra. Der bislang größte Coup des Paares war vor fünf Jahren ein Bau für sich selbst: Sie legten ein radikales Penthouse namens „Ray 1“ auf ein Wiener Mietshaus. Wie ein silberner Cyber-Muskel turnt es auf dessen Dach. Seither sind die beiden in aller Munde.

Was prägt das Museum in Zuffenhausen? Dieser „Porsche“ musste keiner Aerodynamik gehorchen: Delugan Meissl haben ihr erstes Großprojekt im Ausland aus der eckigen Dynamik von Haken, Flügeln und Keilen errichtet – aufgeboten ist die Palette einer von Ästhetik domestizierten zeitgenössischen Algorithmus-Architektur. Spitze und stumpfe Winkel, Rolltreppen, Rampen und Raum-Möbel scheinen den, der sie erforscht, abwechselnd zu bremsen und zu beschleunigen. Die weiße Schale aus beschichtetem Aluminium fügt sich mit dem feinem All-Over-Dekor aus kleinen Rauten nahtlos in die Reihe der anderen Metallpanzer aus dem DMAA-Werkskatalog. Wie schon früher reizen Delugan Meissl die Gesetze der Statik aus. Weil reine Flugmotive im Automobilgeschäft unerwünscht sind, hinterlassen die zeichenhaften V-Stützen und der stämmige Zylinder für den Auto-Lift den Eindruck von verlässlicher Bodenhaftung und Kraftabtragung, während der Korpus abgelöst über der Landschaft schwebt.

Verglichen mit der fünf Mal so teuren BMW-Welt in München hat man in Stuttgart allerdings ein städtebauliches Problem: Delugan Meissl mussten sich scharf abgrenzen und hatten keine Chance, etwa den S-Bahnhof mit einer Ankunftsgeste zu integrieren. Während man auf die dramatische Wolkenlandschaft der BMW Welt von Olympiapark und Stadtautobahn aus stets Panoramasicht genießt, verhindert so etwas in Zuffenhausen die Umgebung. Immer ist etwas im Weg! Auch Ben van Berkels Stuttgarter Mercedes Museum steht frei, man kann es vom Zugfenster aus oft minutenlang glitzern sehen. DMAA ließen sich aber von nichts entmutigen und gestalteten alle ihre Fassaden mit Düsen, Falten, Keilen und Mustern bravourös durch – bereit für die Allansichtigkeit, wie eine moderne Skulptur. So geht die große Ära der „Carchitecture“ wenigstens stilvoll zu Ende.

Alexander Hosch

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