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Kultur: Abheben und ankommen

Tegel, Spandau, Hauptbahnhof: Eine Ausstellung würdigt die Berliner Bauten der Architekten von Gerkan, Marg und Partner

Beim Streit um den künftigen Eisenbahnverkehr in Berlin gerät zur Nebensache, worum es eigentlich geht: Ein jahrzehntelanges Provisorium soll zugunsten einer großzügigen Lösung aufgegeben werden. Aufgeben fällt Berlin schwer, zumal den West-Berlinern. Jetzt also der Bahnhof Zoo. Mit einem anderen Verlust haben sich die Westler immerhin abgefunden: mit der unabwendbaren Stilllegung des Flughafens Tegel.

Beide Vorgänge haben mit den Architekten von Gerkan, Marg und Partner – kurz gmp – zu tun. In Hamburg beheimatet, sind sie im Grunde ein Berliner Gewächs und hier auch seit vier Jahrzehnten tätig. Gmp haben den künftigen Hauptbahnhof entworfen, und sie haben ihre beeindruckende Karriere mit eben jenem Flughafen Tegel begonnen, dessen Entwurf sie 1965 als unbekannte Braunschweiger Hochschulabsolventen zum Wettbewerb einreichten – mit einem Konzept, das die Jury auf Anhieb überzeugte. Dass Tegel nichts von seiner bestechenden Klarheit eingebüßt hat, merkt jeder, der von einem jener Riesenflughäfen herkommt, wie sie die großspurige Berliner Lokalpolitik immerfort erträumt. Die Ironie der Geschichte will es, dass auch der Neubau des Flughafens Schönefeld von gmp entworfen werden soll.

Gmp, wohin man blickt: Sie sind die öffentlichsten Architekten Berlins der vergangenen Jahrzehnte. Denn wer mit dem Zug von Westen her anreist, hat bereits den Bahnhof Spandau durchquert, eine gmp-Schöpfung von 1998. Wer Bundesliga-Fußball sehen will, besucht mit dem Olympiastadion einen gmp-Umbau von 2004. Wer es alternativ mag, wird im Tempodrom Platz nehmen, einem gmp-Bau von 2001. Und wer seinen Bundestagsabgeordneten aufsuchen will, findet dessen Büro womöglich in dem von gmp gestalteten Bauteil des riesigen, 2001 eröffneten Jakob-Kaiser-Hauses.

Es wurde also Zeit, das Berliner Werk von gmp einmal im Zusammenhang zu präsentieren. Die Berlinische Galerie, als Landesmuseum auch für Architektur zuständig, hat sich dieser Aufgabe angenommen und eröffnet heute Abend die Ausstellung „Berliner Bauten und Projekte 1965–2005“, die 27 Vorhaben umfasst, kongenial fotografiert von Marcus Bredt. Dass sie mit dem Flughafen Tegel beginnt – und zwar mit einer der inzwischen ausgebauten sechseckigen Sitzgruppen – und mit dem noch im Bau befindlichen Hauptbahnhof endet, folgt der Chronologie, liefert aber zugleich die gedankliche Klammer des Berliner Œuvres.

Meinhard von Gerkan, mit Volkwin Marg Prinzipal des Büros, geht es – wie er im Gespräch äußert – nicht in erster Linie um Verkehrsbauten. Ihm liegt vielmehr an Architektur, „die für jeden zugänglich ist“ – „die öffentlichste Aufgabe, die Architektur haben kann“.

Ihren Berliner Bahnhofs-Erstling haben gmp in Spandau absolviert, dem sie mit vier gläsernen Tonnengewölben ein unverwechselbares Gesicht gaben. Mit dem seit 1993 geplanten Hauptbahnhof geriet gmp in Konflikt mit Hartmut Mehdorn. Dem Bahn-Chef geht es bei diesem weltweit einmaligen Kreuzungspunkt unterirdischer und auf einem Viadukt geführter Gleisanlagen um die Rentabilität der üppig bemessenen Verkaufs- und Büroflächen. Den Bahnhof indessen als Entree der Bundeshauptstadt zu begreifen und dessen Architektur folglich als große Geste anzulegen, ist ihm augenscheinlich Nebensache. So hatte er das auf über 400 Meter geplante, zur Mitte hin anschwellende Glasdach aus finanziellen Erwägungen bereits um reichlich 100 Meter kürzen lassen. Die grandiose skulpturale Figur wurde verstümmelt, die von Gerkan für diesen auf Fernsicht angelegten, das gesamte Regierungsviertel überblickenden Bahnhof gefunden hatte. Es mag einem Nachfolger Mehdorns eingegeben sein, diese „Verunstaltungen“, wie sie von Gerkan nennt, zu revidieren. Immerhin sei der Bahnhof „ein Stück Identität für Berlin und eine Visitenkarte für Deutschland schlechthin“.

Dabei inszeniert gmp durchaus nicht, sondern betont stets die kühle Schönheit des Funktionalen. Sicherlich könnte der Hauptbahnhof ein schlichteres Dach tragen. Aber das An- und Abschwellen der gläsernen Raupe verweist auf die zur Mitte hin zunehmende Dichte des Verkehrs. Das schwungvolle Glasdach inszeniert damit das „Ankommen“, wie es der Reisende empfindet. Und mit der Einfassung durch die beiden, derzeit in die Höhe strebenden „Bügelbauten“ gewinnt der in einem innerstädtischen Brachland errichtete Bahnhof urbanen Halt.

Urban geht es an anderen prominenten Orten zu, an denen gmp gebaut haben. Man denke nur an die Repräsentanz der Dresdner Bank am Pariser Platz, die sich mit ihrem haushohen, kreisrunden Atrium als begehrter Veranstaltungsort profiliert hat. Man denke an das Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags, das seine Qualitäten weniger von außen darbietet, als sie erst dem Nutzer zu offenbaren. Ähnliches gilt für das Geschäftshaus „Atrium“ an der Ecke Friedrich-/Leipzigerstraße, dessen stein-gläserne Rasterfassade nicht verrät, welch schönen Innenhof Volkwin Marg eingefügt hat. Im Vergleich zu diesem wie auch zu zwei weiteren, stilistisch verwandten Geschäftshäusern besticht der kraftvolle Turmbau des „Swissôtel“ am Ku’damm-Eck, der die drei anliegenden Straßen durch seine elegante Fassadenrundung zusammenbindet.

All das sind Bauten, die im Licht der Öffentlichkeit stehen. Eine breite Öffentlichkeit erfährt sich selbst jedoch nirgends intensiver als im Stadion. Den Umbau des Olympiastadions mit all seiner Geschichte von Politik und Propaganda haben gmp – hier das Duo Volkwin Marg und Hubert Nienhoff – glänzend gelöst. Dabei geriet die Erneuerung eben nicht zur bloß technischen Aufrüstung. Das schwebend leichte, von der historischen Bausubstanz unmerklich abgesetzte Dach nimmt dem Gebäude seine gewollt erdenhafte Schwere, ohne dessen ausdrucksvolle Formensprache zu beschädigen.

Dass es gmp gelungen ist, bei dieser diffizilen Rekonstruktion in die zweite Reihe zu treten, ohne den eigenen Gestaltungsspielraum im mindesten zu vernachlässigen – das bezeichnet den souveränen Rang eines Büros, das Architektur so entwirft, wie es die jeweilige Aufgabe erfordert. Ihr Œuvre ist längst in die Architekturgeschichte eingegangen.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, bis 4. September. Katalog im jovis-Verlag, auch im Buchhandel 29,80 €.

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