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Kultur: Abschalten und Gras rauchen

Forever old: Dr. John musiziert im Astra.

Von Jörg Wunder

Voodoo hält jung. Oder besser: Voodoo hält alterslos. Denn jung wirkte Dr. John eigentlich nie. Schon auf dem Cover seiner LP „Gumbo“ stützte er sich wie ein Greis auf einen Gehstock. Damals, 1972, war er 31 Jahre alt. Vier Jahrzehnte später sieht der Mann, der als Malcolm John Rebennack in New Orleans geboren wurde und seinen Künstlernamen von einem Voodoopriester aus dem 19. Jahrhundert übernahm, im Astra auch nicht viel älter aus, als er im pinkfarbenen Anzug zu seinem von einer antiken Hammondorgel und einem totenschädelgeschmückten Konzertflügel eingerahmten Hocker wackelt. Sein Gesicht verbirgt Dr. John hinter einer riesigen Sonnenbrille, und was die Brille, ein breitkrempiger Hut und der buschige Vollbart nicht bedecken, ist so unergründlich wie die Mimik einer Galapagosschildkröte. Beim Opener „Locked Down“, dem Titelstück seiner jüngsten Platte, steigert er sich von tonlosem Gemurmel in gefährlich klingende Beschwörungsformeln hinein – oder was immer das auch ist, was er da zum vierschrötigen Blues-Funk seiner Begleitband The Lower 911 ins Mikrofon schnauft.

Leider gibt Dr. John nur wenig Kostproben seiner aktuellen Songs, dabei ist „Locked Down“ sein aufregendstes Album seit mindestens 35 Jahren geworden. Allerdings hat er es unter der Obhut von Dan Auerbach, einer Hälfte des RootsRock-Duos Black Keys, mit anderen, jüngeren Musikern eingespielt. The Lower 911 ist dagegen einfach eine teuflisch gute Liveband, die dem Meister seit Jahren treu ergeben ist. Völlig unaufgeregt, mit jederzeit abrufbarer Bereitschaft zu expressiven Soli schaukelt das Sextett den Doc durch die Stationen einer so langen wie unsteten Karriere: Obwohl er in den späten Sechzigern durch seinen Mash-Up der kreolischen Musiktradition von New Orleans mit psychedelischem Hippierock Neuland betrat und unzählige Kollegen beeinflusste, blieb ihm der Erfolg im Mainstream verwehrt. Sein größter Hit „Right Place, Wrong Time“, den er in einer schmucklosen Version einstreut, erreichte gerade mal die Top 20 der US-amerikanischen Charts.

Die Magie seiner Songs ist schwer greifbar: Wie er ein Kontinuum herstellt zwischen zeitgenössischen Stilen und einem uralten Erbe, wie er behutsam Blues, Jazz, Funk, Gospel zusammenführt, das klingt plötzlich hochaktuell. Die Klammer für diese Synthese ist seine unglaubliche, gleichzeitig nasale und doch volltönende Stimme. Dr. John zerkaut die Silben und dehnt die Vokale wie sonst nur Bob Dylan. Vielmehr, so ähnlich könnte Dylan klingen, wenn er zeitlebens mehr entspannende Kräuter geraucht hätte.

Faszinierend ist auch Dr. Johns Fähigkeit zur völligen Ausdruckslosigkeit, wenn seine Mitspieler zu Soloausflügen ansetzen: Ob die pferdelungige Posaunistin Sarah Morrow ihrem Kollegen am Baritonsaxofon die Show stiehlt, ob Gitarrenmann John Fohl kantige Kadenzen schrabbelt oder der füllige Schlagzeuger Raymond Weber ein furioses Geschepper entfesselt – stets wahrt der Doc sein Pokerface, das er auch nicht aufgibt, als er beim archaischen „One Dirty Woman“ zur E-Gitarre greift und ein kubistisches Blues-Solo zum Besten gibt. Diese Musik hat eine Heimat: „Goin’ Back To New Orleans“ heizt dem bestens gelaunten Publikum mit rasantem Afro-Latin-Rhythmus ein, ehe das Evergreen „Tipitina“ von Dr. Johns großem Vorbild, der New-OrleansLegende Professor Longhair, die Schwerarbeiter aus Louisiana in den verdienten Feierabend entlässt. Jörg Wunder

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