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Abschlussfilm: Alles über meinen Bruder

Der Kreis schließt sich: Am Ende kehrt das Festival nach Asien zurück. Und auch zur guten Küche. Zwar wird nur Ente und Nudelsuppe gegessen im japanischen Abschlussfilm „Otouto“, und nicht „Buddha jumps over the wall“-Suppe wie im chinesischen Eröffnungsfilm „Tuan Yuan“, aber die verbindende Funktion gemeinsamen Essens ist die gleiche.

Der Kreis schließt sich: Am Ende kehrt das Festival nach Asien zurück. Und auch zur guten Küche. Zwar wird nur Ente und Nudelsuppe gegessen im japanischen Abschlussfilm „Otouto“, und nicht „Buddha jumps over the wall“-Suppe wie im chinesischen Eröffnungsfilm „Tuan Yuan“, aber die verbindende Funktion gemeinsamen Essens ist die gleiche. Und auch der zärtliche Ton, die ruhige Erzählweise, die klaren, genau kadrierten Einstellungen sind gleich. Es sind sehr reife Filme, alle beide, auch wenn zwischen ihren Regisseuren ein Altersunterschied von dreißig Jahren liegt.

Wieder geht es um eine Familie, die spät erst zusammenfindet, wieder geht es um Traditionen, wieder gibt es einen Außenseiter und wieder spielt Alkohol eine beträchtliche Rolle, bei der Eskalation, aber auch bei der schlussendlichen Entspannung und Versöhnung. Und wieder steht im Zentrum eine Frau, so still wie klar, die sich am Ende entscheiden muss.

Familie – das ist das Thema der Berlinale gewesen. Von „The Kids are All Right“ bis zu „Alle meine Väter“, von „Bal“ bis „Please Give“ und „Rompecabezas“: verschwundene Väter, wiedergefundene Väter, alt gewordene Ehepaare, verlorene Kinder. Immer geht es darum, was die Familie noch zusammenhält, als letztes Bollwerk, doch der Angriff kommt von innen. Da wird Tradition neu verhandelt, Respekt eingefordert, Verständnis beschworen. Ausbruch kann eine Befreiung sein. Am Ende ist es die Nähe, die zählt.

Auch in „Otouto“ wird ein Generationenkonflikt verhandelt, zwischen Mutter, Tochter und Schwiegermutter. Und es ist gerade der Außenseiter, der ausgestoßene Bruder, der immer wieder Respekt einfordert, wenn er alle Beteiligten ermahnt: Bedanke dich angemessen.

Unerwartet stark ist auch die Parallele zum dänischen Wettbewerbsbeitrag „En familie“, der am Tag zuvor lief. Auch hier geht es um einen Generationenkonflikt zwischen Vater und Tochter: Er will, dass sie das Familienunternehmen weiterführt, sie träumt von einer Karriere in New York. Doch vor allem geht es in beiden Filmen um den Tod, und darum, was er mit einer Familie macht. Gut, es ist diesmal nicht die Bäckerei, sondern eine Apotheke in einem Vorort von Tokio, und es stirbt auch nicht der Familienpatriarch, sondern der jüngere Bruder, das schwarze Schaf der Familie. Doch beide Male sehen wir ein langsames Sterben, das eher ein Hinübergleiten ist, mühsam, quälend, aber am Ende befreiend. Wir sehen den Schmerz der Angehörigen, aber auch die Erleichterung, die Trauer, aber auch das Loslassenkönnen. Filme, die ohne Effekte, ohne rührselig-falsche Emotionalität über den Tod erzählen können: Nicht umsonst ist die letzte Geste des Sterbenden in „Otouto“ das Victory-Zeichen. Und es ist Frühling geworden.

„Otouto“, übersetzt „Jüngerer Bruder“, ist Kon Ichikawas Meisterwerk „Otouto“ von 1960 nachgebildet, in der schwierigen Beziehung zwischen zwei Geschwistern. Um Familie ging es schon in Yoji Yamadas letztem Film „Kabei“, der vor zwei Jahren im Wettbewerb lief. Auch diesmal sind wieder die gleichen Hauptdarsteller an Bord: Sayuri Yoshinaga, die in „Kabei“ die schöne, stille Mutter spielte, ist diesmal Ginko, die verwitwete Apothekerin, die mit Tochter und Schwiegermutter eine harmonische Drei-Generationen-Wohngemeinschaft bildet. Tsurube Shofukutei ist ihr jüngerer Bruder Tetsuro, der Tunichtgut, der vom Schauspielen träumt und sein Leben damit zubringt, gebratenen Tintenfisch zu verkaufen. Und der gern und zu oft zu tief ins Glas schaut – auf der Hochzeit seiner Nichte Koharu (Yu  Aoi) leert er die Sekt- und Whiskygläser auf Ex und legt einen skandalösen Auftritt hin – daraufhin wird er aus der Familie verbannt.

Doch Geschwisterliebe ist ein festes Band, so fest wie das rosa Seidenband, das Ginko am Ende um ihr Handgelenk bindet, damit der todkranke Bruder sie des Nachts wecken kann. Wie Ginko allmählich von der Verbitterung loskommt, wie sie ihren Frieden macht mit diesem Bruder, das ist schon die ganze Geschichte von „Otouto“, die sich ganz langsam, in unendlich ruhigen Bildern entwickelt, der man zunächst mit mildem Interesse, dann mit zunehmender Faszination folgt, und am Ende mit Lachen und Weinen, ohne dass der Film je seinen Ton verändert hätte.

Da ist viel von Yamadas großem Lehrer Yasujiro Ozu zu spüren, in der leichten Untersicht der Kamera, im Spiel der Jahreszeiten, in der Sorgfalt, mit der die häuslichen Tätigkeiten gezeigt werden, im großen Familienthema. Doch der 78-jährige Yoji Yamada geht weiter im Sinne Ozus, und zeigt die langsame Ablösung von den Traditionen. Da scheitert die arrangierte Prestige-Hochzeit der Tochter mit einem Arzt, und sie findet schließlich ihr Glück mit dem örtlichen Tischler. Da darf Tetsuro bis zum Schluss der laute, polternde Schlawiner bleiben, der sich selbst durch die Transfusionsflasche noch den Schnaps holt, den er braucht, und im freundlichen Sterbehospiz wird er gerade für diese Querschlägerkraft geschätzt. Er hat immer alle zum Lachen gebracht, sagt die Betreuerin.

Selbst die senile Schwiegermutter findet am Ende ein versöhnliches Wort über Tsesuro, den sie bis dahin ganz unmöglich fand. Er sei doch eigentlich ein einsamer Mensch gewesen, so einsam wie sie selbst. Wenn nicht die Familie wäre: Auch die Toten bekommen bei jedem Essen ein Glas Wein hingestellt, vor ihre Fotografie. Sie sind geladen, in unserer Mitte zu bleiben.

Heute 10 Uhr (Friedrichstadtpalast), 14.30 Uhr (Berlinale-Palast)

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