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Kultur: Abseits der Katastrophe - Aufzeichnungen von Peter Jacobs

Es gibt die berühmten zwei Bände Tagebuch aus der Nazi-Zeit: "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten". Es gibt die Erinnerungen der Jahre 1881 bis 1918, und nochmals jeweils zwei Bände Tagebücher 1918 bis 1932 und 1945 bis 1959.

Es gibt die berühmten zwei Bände Tagebuch aus der Nazi-Zeit: "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten". Es gibt die Erinnerungen der Jahre 1881 bis 1918, und nochmals jeweils zwei Bände Tagebücher 1918 bis 1932 und 1945 bis 1959. Der Romanist Victor Klemperer war ein manischer Tagebuchschreiber. Acht dicke Bände seiner Erinnerungen hat der Aufbau-Verlag in den 90er Jahren herausgegeben, das deutsche Fernsehen hat Klemperers Leben und seine Aufzeichnungen im letzten Jahr verfilmt. Wer braucht eine Klemperer-Biografie, 380 zusätzliche Seiten? "Alle, die keine Lust haben, sich durch die acht dicken Bände Tagebuch zu wühlen", sagt Hadwig Klemperer, die zweite, 45 Jahre jüngere Frau des 1960 verstorbenen jüdischstämmigen Professors. Mit ihrer Hilfe hat der Journalist Peter Jacobs die Biographie "Im Kern ein deutsches Gewächs" geschrieben. In diesem Band wird Klemperers Leben konzentriert und eingebettet in das Zeitgeschehen dargestellt. "Der ganze Zusammenhang in einem Band. Billig und bequem", sagt Hadwig Klemperer.

Ein bisschen weg von der Fixierung auf die Nazi-Zeit will Peter Jacobs die Leser mit seinem Buch außerdem führen und beispielsweise die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Romanist Klemperer wieder in Dresden, Greifswald, Halle lehrte, deutlicher ausleuchten. Klemperer nicht mehr nur als "Kulturgeschichtsschreiber der gegenwärtigen Katastrophe", wie er sich 1942 selbst bezeichnete, sondern auch in den 50er Jahren im Ranküne-Geflecht der ostdeutschen Universitäten, in den "professoralen Querelen", wie Jacobs sie nennt. Klar und journalistisch-sachlich erläuternd ist die Biografie hart am roten Faden der Tagebücher entlang geschrieben", so der Autor, der aber auch bisher unbekanntes Material untersucht hat, wie zum Beispiel frühe literarische Versuche Klemperers. "Aber das sind nur kleine Dinge, die man noch dazu tun kann", schränkt Jacobs ein. Dass die Biographie nichts essenziell Neues bringe - dem kann die Klemperer-Witwe nur beipflichten, aber das sei schließlich auch nicht Sinn und Zweck des Unterfangens gewesen. Ihr ist etwas anderes wichtiger: "Es ist unmöglich, Klemperer aus seinen Tagebüchern kennenzulernen", sagt sie. Da habe sich ihr Ehemann in einzelnen Passagen so richtig "ausgeschleimt und abreagiert".

Jacobs Blick von außen versucht deshalb, moderat und ausgewogen zu sein, wo Klemperers Selbstzeugniss subjektiv sein muss. Die Biografie strafft naturgemäß Klemperers Innensicht, gewichtet neu und um und ermöglicht somit einen Einstieg in die unendliche Klemperer-Geschichte: einen ersten Überblick, dem die Lektüre der tausendseitigen Tagebuch-Bände folgen kann.Peter Jacobs: Victor Klemperer. Im Kern ein deutsches Gewächs. Eine Biografie. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2000. 381 Seiten, 19,90 DM.

Tina Heidborn

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