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Kultur: Abtanz der Vampire

Ein bisschen Dämonie: Claus Peymann inszeniert Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ am Berliner Ensemble. Es wird ein Trauerspiel - doch das Premierenpublikum feiert ihn.

Georg Büchner war da, das schon. Claus Peymann hat ja das Verdienst, weiterhin große Stücke in weitgehend unverhauenen, nicht schneidig oder dümmlich „dekonstruierten“ Fragment-Versionen zu spielen und seinen Akteuren statt der schieren Moderation von Rollen noch deren Charaktere anzuvertrauen. Und dem Zuschauer folglich Dramen mit ihren Geschichten und Konflikten statt nur Stück-Kommentare oder ein kabarettistisches Nummern-Theater zu bieten.

Dafür wurden Peymann und sein Berliner Ensemble jetzt am Ende von Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ vom Premierenpublikum einmal mehr gefeiert. Trotzdem war es, leider: ein ziemliches Trauerspiel. Was nicht an Georg Büchners Tragödie liegt.

Der Fall ist so vertrackt wie im Grunde einfach. Man hat das Riesendrama in einer prima vista einleuchtend gekürzten Fassung gespielt, über die Peymanns und seiner Dramaturgin Jutta Färbers sehr schönes Programmbuch mit allen eingezeichneten Strichen Auskunft gibt. Zwar sind dem vor allem in den Gefängnisszenen (vor Dantons Hinrichtung) einige staatsphilosophische Exkurse und Büchners grandiose Rechtfertigung des Atheismus zum Opfer gefallen. Aber man hat doch viel von der Poesie des Genies erfahren, der 1835 mit 21 Jahren dieses enorme Werk über den Zwiespalt zwischen revolutionärer Idee und Wirklichkeit, über Tugend und Terror, Liebe, Langeweile, Melancholie und Tod geschrieben hat. Über den (selbst)mörderischen Politiker, Lebemann und Zauderer Georges Danton, einen anderen Hamlet. Held der Französischen Revolution und Opfer seines Gegenspielers Robespierre.

Nur: Die Aufführung hat keinen Danton. Und es gibt hier kein Berliner Ensemble. Es gibt ein Ensemble, schlecht und recht, mit ein paar solistischen Größen. Das schon. Und es gibt viel erkennbar gut Gemeintes. Aber daraus wird noch nicht Büchners Feuer. Nur ein milder Abglanz.

Das freilich in einem brillanten Rahmen. Der große 75-jährige Bühnenbildmeister Karl-Ernst Herrmann hat einen ganz wunderbaren Raum entworfen: eine steil gekippte spitzwinklig expressionistische Szenerie in dominantem Schwarz, dazu auch mal Violettrot oder Giftgelb.

Es gibt darin kleine Gespensterkammern, in denen sich Volk, Verschwörer, Huren, Todesboten drängen. Und wenn bei den Sitzungen der Jakobiner oder des Revolutionstribunals die Redner aufs klapprige Gerüst oder die Angeklagten auf die abschüssige Bahn treten, dann ragen hoch über ihnen an der schwarzen keilartigen Rampe nur die bleichen Fratzen, die gepuderten Perücken der Revolutionsgewinnler oder des Pöbels über den Rand: wie ein historischer Spuk. Wie die Köpfe der Karikaturen eines Daumier.

Natürlich gab es das so ähnlich schon einmal – in diesem Theater. Robert Wilson hatte 1998 „Dantons Tod“ im Gestus eines deutsch-expressionistischen Gespensterfilms à la „Nosferatu“ und „Das Cabinet des Doktor Caligari“ inszeniert. Wilsons Grundidee, dass Büchners Revolutionäre als Todgeweihte bereits Zombies gleichen, die sich selber als schon lebendig Begrabene im Stück bezeichnen, hat Peymann nun übernommen. Und hat versucht, diese Atmosphäre des fatal Absurden ohne den kunstvollen Manierismus von Wilson in seinen eigenen, konventionelleren Theaterstil zu übersetzen.

Ein- oder zweimal gelingt dies ganz gut. Die Szene der flanierenden Bürger, die sich in Geld und Geilheit ergehen, aber auch über ein vollkommen geisterhaftes labyrinthisches Theater oder über die Dünne der Erdkruste schwadronieren, wird in Herrmanns spukhaftem Ambiente zu einem kleinen, feinen Kabinettstück (vorzüglich in einer Winzrolle der alte Peymannspieler Gerd Kunath). Oder: der Kunstgriff, den Beifall der revolutionären Claque in einer der Redner-Szenen nur als Pantomime anzudeuten, was aus dem ansonsten banalen Klatschen ein virtuos lautloses Sekundenspektakel macht.

Im Übrigen aber dominiert das Derbe, Überlaute, Rangeschmissene. Veit Schubert als tugendterroristischer Robespierre wird in eine Filmdraculamaske gesteckt, Bösewicht pur, nur zahnlos, dafür mit Dämoniegebärden aus der Dose. St. Just, der puristische Blutphilosoph und rhetorische Goebbels der Revolution: bei Georgios Tsivanoglou ein feister, an zehn Fingern beringter Politprofiteur, der auf die Ringe eigens noch schaut, damit es alle merken. In der Seele weh tut es, wenn eine Schauspielerin wie Ursula Höpfner-Tabori zur Puffmutterknallcharge gemacht wird und die wunderbare Angela Winkler als Edelhure Marion mit roten Lippen und im Hemdchen eine reife Baby Doll mimen muss (Erotik, sagt Peymann selber, war auf der Bühne noch nie seine Stärke). Einst bei Wilson war die Marion, im Zusammenspiel mit dem Danton Martin Wuttkes, mit Edith Clever zwar auch als Madonnen-Diva besetzt – jedoch erinnern wir keine körperliche Bloßstellung. Sondern ein Halbprofil, einen eleganten Rücken, ein schattenhaftes Traumspiel.

Die Protagonisten wollte Peymann entschieden jung. Doch jung allein ist noch nicht abendfüllend. Ulrich Brandhoff, groß, sportlich, lockenköpfig, gibt den Danton nicht politisch, nicht philosophisch, nicht erotisch. Nur athletisch. Der Regisseur lässt den jungen Akteur offenbar völlig allein, denn es gibt kein wirkliches Zusammenspiel mit den Mitstreitern (Felix Tittel als Camille, Roman Kanonik als Legrendre) oder mit seiner Frau Julie (Katharina Susewind). Stattdessen legt Brandhoff nur immer den Kopf in den Nacken, schaut himmelwärts oder in den 2. Theaterrang, wirkt narzisstisch selbstverliebt und von keines Gedankens Blässe gezeichnet: eher ein unreifer Schiller-Jüngling, ein Karl Moor. Kein frühreifer menschenskeptischer Büchner-Mann.

Peymann beruft sich gerade auf die Aktualität der arabischen Revolution. Wie unpolitisch seine Inszenierung jedoch ist, zeigt neben manch anderem der Schluss. Nach Dantons und Camilles Hinrichtung irrt Camilles Frau Lucile durch die Pariser Straßen und ruft in trotziger Verzweiflung: „Es lebe der König!“. Worauf eine Wache nach ihr greift: „Im Namen der Republik.“ Ein ganzes Drama im Drama – man denke, eine junge Frau in Kairo oder Teheran riefe heute, gegen die Islamisten: Es lebe Mubarak! Es lebe der Schah! Bei Peymann aber ertönt das „Im Namen der Republik“ im Off und ohne Sinn. Der Ausruf von Lucile (Antonia Bill) kommt erst dann. Im Gestus opernhafter Melodramatik. Das war’s. Kann’s das gewesen sein?

Wieder am 16. und 21. 1. sowie am 2. 2.

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