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Kultur: „Ach komm Inge, lass uns nach Neapel fahren“

Innige Freundschaft, untröstliche Liebe: der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Werne Henze

Im Angesicht des Todes sei alles lächerlich, hat der Schriftsteller Thomas Bernhard einmal gesagt. Alle Wünsche, alle Sehnsüchte, alle Not. Ähnlich muss auch Hans Werner Henze empfunden und gedacht haben, als Ingeborg Bachmann, seine „elsa“, sein „ingibin-gi“, sein „teuerster und schönster menschlicher kontakt“, am 17. Oktober 1973 in Rom jenen Verbrennungen erlag, die sie sich – mutwillig oder nicht – drei Wochen zuvor zugezogen hatte. Sie war, so heißt es, mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen. Eine grandiose finale Selbstinszenierung, die „letzte endgültige Pause“ ihrer besonders-absonderlichen Beziehung, wie Henze im Vorwort zu den von Hans Höller nun vorbildlich edierten „Briefen einer Freundschaft“ schreibt: eine Pause „schrecklich und tiefgreifend, und ewig.“

Wem unter den Bachmann-Infizierten klängen da nicht jene berüchtigten Verse aus „Erklär mir Liebe“ im Ohr, im unverwechselbaren Singsang der stets zum Zerreißen gespannten, halsabschneiderisch hoch angesetzten Dichterinnen-Stimme: „Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander/durch jedes Feuer gehen./Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.“

Das aber schreibt sie bereits Mitte der fünfziger Jahre, irgendwo zwischen Ischia, Amerika, Klagenfurt und Neapel. Die Annäherung an Italien, das gelobte, „erstgeborene“ Land, gestaltet sich überraschend schwierig. Für die 26-jährige Dichterin, die gerade auf einer Tagung der Gruppe 47 „entdeckt“ worden war, ist es keineswegs die Flucht ins Paradies. Da mag Hans Werner Henze, der ihr die südlichen Gefilde schon in seinem zweiten Brief vom Februar 1953 (da sind die beiden noch per Sie) schwärmerisch ans Herz legt, mit noch so großartig poetischer Nonchalance dafür werben: „ ... die übrige zeit dem meer und der explodierenden sonne sowie einem scirocco genannten afrikanischen wind hingegeben, nachts gegen mitternacht ein pullover um die hüften, weil es etwas kühler wird, zu dieser zeit auch sehr viel wein.“

Was Bachmann mit dem ihr eigenen Pathos sucht, bis zum bitteren Ende, kann sie – und das versteht der in einer eher panisch-dekorativen Schönheitssucht befangene Komponist nicht – nirgends finden. Ob Ischia, Wien, München, Zürich oder Rom: Überall lauern für sie „steinerne Stunden“, ökonomische Zwickmühlen, lebensbedrohliche Krisen. Und schließlich, von Henze immer wieder in flammend-strenger Rede als „Schildkröten-Verhalten“ gegeißelt, die Unfähigkeit zu arbeiten. Je produktiver er sich gebärdet – so der Eindruck namentlich in den späten Jahren 1960 bis 1973, in denen der Kontakt lose wird – „Pausen“ eintreten in der Korrespondenz, desto tiefer hadert sie. Je überbordender, weltumgreifender seine Auftragslage und Anerkennung, desto gefährdeter, fragiler erscheint sie. Die gemeinsamen Werke, oft unter den fürchterlichsten Lähmungen und Verspätungen ihrerseits und nicht minder fürchterlichen Verzweiflungsattacken seinerseits entstanden, vermögen daran wenig zu ändern: vom „Monolog des Fürsten Myschkin“ in Henzes Ballettpantomime „Der Idiot“ über diverse Gedicht-Vertonungen bis zu den hochgerühmten Opernlibretti zum „Prinzen von Homburg“ wie zum „Jungen Lord“.

Nicht, dass Bachmann sich an seinen Erfolgen nicht enthusiastisch hätte freuen können. Wie schlecht es ihr „in der Zeit der Ariosi“ geht, blieb aber auch dem sich entfremdenden, entfernenden Herzensbruder nicht verborgen. Auf ihre Büchnerpreis-Rede von 1964 reagiert Henze, indem er ihren Zustand als „unendlich schlimm“ erkennt – und inbrünstig an eine königskinderliche Vernunft appelliert: „Alles ist tot und leer, aber das geht nicht, Du darfst nicht sterben, auch ich möchte sterben, aber ich darf nicht sterben. Man muss sich festhalten an den wenigen erträglichen Wahrheiten.“ Und ein halbes Jahr später: „Mozart hat in seinem Leben nie mehr als 10 Minuten gehabt, um darüber nachzudenken, wie schlecht es ist.“ Noch einmal empfiehlt er die Arbeit als „WOHNSTÄTTE DER SEELE, die von niemandem besetzt werden darf.“ Ihre Antwort auf diesen für sie längst gescheiterten, utopischen Lebensentwurf ist ein Telegramm vom September 1964 aus Berlin, augenzwinkernd: „DU BIST EIN MONSTRUM. VOLLER BEWUNDERUNG – INGEBORG“.

So episodisch die glücklichen Tage auf dieser Folie bleiben – es hat sie gegeben: während des ersten Aufenthalts auf Ischia 1953, in der gemeinsamen Wohnung in Neapel 1956, in der „Homburg“-Zeit zwischen 1957 und 1960. Früh schon skizziert Henze, wie er sich die Zukunft vorstellt: „... jedenfalls, wenn du sagst, zu allem bereit zu sein, kann ich dir folgendes versprechen, und das meine ich aufrichtig: ruhe, frieden und die möglichkeit, Dich völlig, ohne irgendwelche anderen verpflichtungen, Deiner schöpferischen arbeit zu widmen. und vielleicht ein schöneres leben, als du es je hattest. das wäre ein pakt gegen die bedrohlich dumme welt, gegen die angst und um einer keuschen und reinen idee vom künstlerleben ausdruck zu verleihen.“

Dass es dazu in letzter Konsequenz und märchenhafter Ausschließlichkeit nicht kam, ist, erstaunlich genug, nicht Bachmann anzulasten, sondern Henze, der seiner „jahrhundert-närrin“ zweimal die Ehe anträgt – und beide Anträge wieder zurücknimmt. Henzes Homosexualität, sein tröstlich affektiert wirkendes Gebeuteltsein zwischen unzähligen „hl. Raffaels“ und „neapolitanischen Prinzen“, muss beiden als glorioses Versprechen gegolten haben: für ein gänzlich anderes Leben jenseits der „feigen“, „kranken“ patriarchalischen Männerwelt, für eine himmlische Freiheit weit weg vom Adenauer-Deutschland und allen Konventionalitäten.

Dass Ingeborg Bachmann sich in der Zurückweisung erneut auf das „Normale“ besinnt, nimmt Henze ihr übel. „Ich liebe Dich noch“, schreibt sie in einem Briefentwurf vom Mai 1957, „aber es ist eine andere Liebe, eine, die Zweifelssorge nicht kennt, rein und brüderlich – und da gibt es etwas anderes, das zerstört und zerstörerisch ist, alles oder nichts in sich dazu angetan, mich einmal wissen zu lassen, was ich wert bin und was ich nicht wert bin.“ Und er wiederum klagt, wie klar er plötzlich sehe, „dass Frau B. es mit mir nicht aushält, weil ich schwul bin. sie leidet. also gut. wenn sie leidet, verletzt mich das auch.“

Auf unheimliche Weise scheint die Bachmannsche Biografie am Ende dem verschmähten Kompromiss das Wort zu reden: die Katastrophe mit Max Frisch, Selbstmordversuch, Abtreibung – dies alles mag Jahre später in „Malina“ künstlerisch fruchtbar werden (Henze nennt den Roman „DIE ELFTE VON MAHLER“). Zeugnis eines gelungenen Lebens ist es nicht.

Etliche Klischees umstellen die 219 Briefe Hans Werner Henzes und die 33 Briefe Ingeborg Bachmanns (von denen viele niemals abgeschickt wurden, der große, mutmaßliche Rest ging ganz verloren). Zum Beispiel, dass das Männliche sich in seiner Selbstemphase geradezu imperialistisch verströme – zweifellos auch eine Frage der Quantitäten –, während das Weibliche lieber von „dunklen Engeln“ spricht und sich für den Scala-Besuch dann doch das neue Abendkleid aufnötigen lässt. Dass Henze in seiner Rede vom Verderben und Vergehen eine weitaus künstlichere Tonlage anschlägt als Bachmann, die die Echoräume ihres Schweigens allerdings perfekt auszustaffieren weiß („ich spreche nicht, weil ich weiß, dass ich diesen Zustand besser ohne Sprechen überwinden kann“). Und dass das Ganze ohne die Möglichkeit Italien in seiner Zeit niemals denkbar gewesen wäre. In der Tat waren die Bilder des „Citronenlandes“ von den Nachkriegshervorbringungen eines Heinz Erhardt oder einer Caterina Valente kaum unterschieden. Die tiefgreifende politische Überzeugung aber, dass sowohl die Bundesrepublik als auch Österreich weiterhin von „mördern, neofaschisten, neoneurotikern“ bevölkert würden – sie verleiht allem allzu Praktischen, Eifersüchtigen und Selbstmitleidigen eine existenzielle Grundierung.

Zwei Menschen auf der Flucht, vor sich selbst, zu sich selbst. Das Leben, sagen diese Briefe (und sie sagen es oft mit operettenluftiger Heiterkeit), mag mehr sein als ein vorübergehendes „changement d’air“. Aber der Trost darin ist groß: „ach komm inge, lass uns nach neapel fahren und ruhig sein und singen, aber nicht aus angst im dunkel, sondern sonnenhymnen und canzoni.“

Ingeborg Bachmann/Hans Werner Henze: Briefe einer Freundschaft. Hg. v. Hans Höller. Piper Verlag, München 2004. 537 Seiten, 24,90 €.

Christine Lemke-Matwey

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