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Kultur: Achtung, mein Kopf platzt

Porno und Splatter: Die Berliner Kunst-Werke zeigen in „You killed me first“ New Yorker Underground-Filme der achtziger Jahre.

Der Braten steht auf dem Tisch. Man kann ihn schon riechen. Das Ende dieser idyllischen Wohlstandsfamilienzusammenkunft muss grausam sein. Denn die Tochter passt nicht ins Bild, ihre Kleidung ist zerrissen, das Gesicht trotzig verzogen. Sie schreit: „Ich hasse eure Religion! Ihr ruiniert mich! Ihr nervt mich!“ Sie greift zur Knarre und richtet ein Blutbad mit Truthahn, Vati, Mutti und Schwester an. Der Film „You killed me first“ von Richard Kern aus dem Jahr 1985 ist noch eine der harmloseren Varianten in der gleichnamigen Ausstellung, die zurzeit in den Berliner Kunst-Werken zu sehen ist und der nahezu vergessenen Underground-Filmbewegung „Cinema of Transgression“ erstmals zu institutionellen Ehren verhilft.

In „Fingered“, einem Hardcoreporno nimmt ein junges Paar ein von einem Mann verfolgtes Mädchen mit, um sich später selbst über sie zu werfen und zu missbrauchen. Ein junger Mann verfolgt einen älteren Maler wie ein Geisteskranker, er kommt mit ihm in die Wohnung, onaniert, und plötzlich zerplatzt sein Hals, Kunstblut spritzt aus den Adern. Eine junge Frau stößt reihenweise die Männer aus ihrem Auto, weil sie es nicht erträgt, dass sie immer nur chauffiert wird. Einer Ratte werden die Gedärme entnommen, ein Mund mit rotem Faden zugenäht. Sex, Frauenpower, Trash und Splatter, das ist der Stoff dieses radikalen Kinos. Unterlegt wird das Ganze mit No Wave, Art-Rock und Punk-Musik.

Die Underground-Bewegung entstand in den achtziger Jahren in der heruntergekommenen New Yorker Lower East Side. Die Mitglieder klauten sich ihre Kameraausrüstung zusammen, sie experimentierten mit Drogen und lobten in dem von ihnen herausgegebenen Magazin „Underground Film Bulletin“ die eigenen Filme. Alles war extrem, das Leben, die Kunst – während sich im Rest der USA eine konservative Grundstimmung breitmachte und der neue Präsident Ronald Reagan sich für traditionelle Werte wie Familie, Kirche und Patriotismus einsetzte. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund muss die Bewegung gelesen werden. Provokation war ihr höchstes Gut. So formuliert Nick Zedd in seinem Manifest zum „Cinema of Transgression“, er plädiere dafür, „alle Tabus unserer Zeit zu brechen und so viel wie möglich zu sündigen. Dabei wird auf eine bislang kaum vorstellbare Weise Blut, Scham, Schmerz und Ekstase zu sehen sein.“ Jeder Film, der nicht schockiere, sei es nicht wert, angesehen zu werden.

Doch was bleibt davon? Ein nostalgischer Rückblick in vergangene Zeiten. Die Filme sind je nach Gemüt immer noch schwer zu ertragen, weswegen der Eintritt auch erst ab 18 Jahren gestattet ist. Aber sie wirken heute wie ein Kampf gegen Windmühlen, das jugendliche Rebellentum wird zur Attitüde. „Aus der Rückschau betrachtet, drei Jahrzehnte nach den Geschehnissen, halten es selbst die seinerzeit Beteiligten kaum für möglich, einstmals so desillusioniert, entwurzelt und wütend gewesen zu sein“, heißt es sogar an einer Stelle im Katalog. Diesem ist außerdem zu entnehmen, dass die Künstler mit ihrem Medium Super 8 spielten und bei Performances die Kurzfilme über mehrere Projektoren liefen ließen. Davon ist in dieser Ausstellung nicht mehr viel zu spüren, die Werke wurden digitalisiert und über einen Beamer an die schwarzen oder neonfarbenen Wände geworfen. Auf eine die Sinne strapazierende, retro-hippe Zeitreise wird der Besucher dennoch geschickt: Die Filme werden teilweise parallel gezeigt, Gestöhne und Geschrei vermischen sich. Die Besucher tasten sich durch stockdunkle Flure, Stroboskopblitze zerhackstückeln das Treppenhaus. Gleich im Eingang empfängt einen das laute Video zu „Death Valley 69“ der Alternative-Band Sonic Youth. Richard Kern hat es gedreht, Lydia Lunch tritt als Sängerin auf – beide sind Mitglieder der Untergrundfilmer.

Herausragend aus der zehnköpfigen Gruppe ist David Wojnarowicz und sein Film „A Fire In My Belly“. Er erzählt darin keine absurde Geschichte, sondern schafft einen ganz eigenen soghaften, assoziativen Bilderfluss mit Material, das er aus Mexiko mitgebracht hat. Diese Montage ist ein Nebeneinander aus Zirkusartisten und Exhumierten, aus Stacheldrahtzaun und Dornenkrone, indigener Stammeskunst und Industriemaschinen sowie surrealen Horrorszenarien à la Buñuel. Man ahnt, dass diese Technik, dieses An- sich-Raffen und Durchmischen ästhetisch stilbildend für nachfolgende Künstler gewesen sein muss.

Kunst-Werke, Auguststraße 69, Mitte, bis 9. April, Di-So 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr

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