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Kultur: Adel im Untergang

KLEZMER

Traurig tönt die Klarinette. Im Niemandsland zwischen Dur und Moll klagt sie wie einer, der nicht mehr weiß, wo er hingehört. Auf der Leinwand schwankt ein alter Mann eine Treppe hinab ins Finstere. Nun ist er „Der letzte Mann“ , ganz unten in der Hierarchie des Atlantic-Hotels. Emil Jannings spielt den degradierten Hotelportier, der mit seiner fürstlichen Uniform seine Selbstachtung verliert – und als Toilettenmann den kläglichen Rest seines Berufslebens fristen soll. Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm von 1924 ist dank der „entfesselten Kamera“ so bildmächtig, das er (fast) ohne Zwischentitel auskommt. Nach einer neuen Orchesterfassung auf der Berlinale wurde jetzt in der Passionskirche schon die nächste Begleitmusik uraufgeführt. Aljoscha Zimmermann setzt auf Piano und Klarinette. Der stummfilmgeübte Komponist beherrscht die Kunst, Filmbilder akustisch nicht zu übertünchen und integriert die unterschiedlichsten Stile: Kammermusik steht neben Walzern, Jazz und jauchzenden Klezmerpassagen.

Während Zimmermann selbst am Flügel vor allem Atmosphärisches stützt und Massenszenen prägt, beeindruckt Giora Feidman da, wo er mit seinem Klarinettenstrahl in die Seele des Protagonisten hineinleuchtet. Wenn Emil Jannings eine Verschnaufpause einlegt, unterlegt Feidman das mit lethargisch-getragenen Bögen. Später, in die verzerrten Visionen eines Vollrausches hinein, gellen harte Klarinettentriller. Der Produzent drängte Murnau zum draufgepappten Happy-End: Jannings wird Millionenerbe. Aber das Publikum jubelt, wenn Giora Feidman im finalen Solo eine schier unendliche Himmelsleiter hochklettert. In einem Atemzug!

Jens Hinrichsen

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