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Kultur: Adel vernichtet

Gábor Görgeys Roman „Sirene der Adria“

Ein scheiternder Bildungsroman, eine schmerzhafte Idylle, ein heiterer Trauergesang – Gábor Görgeys „Sirene der Adria“ ruft paradoxe Assoziationen herauf. Nichts scheut der Roman so sehr wie jene Endgültigkeit, die er betrauert: das definitive Ende des adligen Ungarns. Der Klage tritt die Ironie zur Seite: Sie hält das Sentiment in Schach und die Reflektion in Gang. Der ungarische Dramatiker und Romancier Görgey, 1929 geboren und 2002/03 Kulturminister, springt behänd zwischen den Zeiten hin und her. Sein 69-jähriger Held Adam Topporczy fährt 1998 mit Ehefrau, Tochter, Schwiegersohn und Enkel an die kroatische Adria und wird von Erinnerungen überfallen: Wie der Adelssohn 1935, mit sechs Jahren, auf einer Adriainsel von einer voluminösen Urmutter ins Reich der Lust initiiert wurde. Oder wie man ihn Anfang der 50er Jahre in den Zwangsarbeitsdienst schickte.

Mystisch, grotesk, burlesk, fantastisch, komisch und dokumentarisch vergegenwärtigt Görgey 60 Jahre, in denen der Adel zu Grabe getragen wird. Der Roman reiht Kabinettstückchen aneinander: Eines handelt von kunstseidenen Männerunterhosen, ein anderes von einer desolaten Villa, die Adam einem Neureichen einrichten soll. Was der im „Raubtierkapialismus“ Erfolgreiche erst Jahre später erfährt: Es ist der frühere Wohnsitz der Topporczys.

Gábor Görgey: Sirene der Adria. Roman. Aus dem Ungarischen von Jörg Buschmann. Mit einem Vorwort von Imre Kertész. Salon Literaturverlag, München 2004. 240 Seiten, 19,80 €.

Jörg Plath

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