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Kultur: Adel verpflichtet

Schönes, schweres Erbe: Kunst aus fürstlichem Privatbesitz in der Münchner Ausstellung „Schatzhäuser Deutschlands“

Wenn der deutsche Adel heutzutage Schlagzeilen macht, dann allenfalls mit glamourösen Gräfinnen und wenig benimmsicheren Prinzen. Ihre politische Macht haben die Adelshäuser nach dem Ersten Weltkrieg im November 1918 abtreten müssen. Fortan konnten sie sich ihrem verbliebenen Privatbesitz widmen; lagen ihre Ländereien im Osten Deutschlands, war es 1945 auch damit vorbei.

Was die fürstlichen Geschlechter für das kulturelle Leben in Deutschland geleistet haben, ist in Vergessenheit geraten. Doch nicht zuletzt die föderale Struktur des heutigen Deutschlands ist eine direkte Folge der einstigen politischen Zersplitterung des Reiches. Überall „regierten“ Landesherren, die, wie klein ihr Reich auch sein mochte, angemessen zu repräsentieren wünschten, in Bauten – und in Kunst. Heute tritt die Aristokratie, der in Deutschland nicht nur erklecklicher Besitz, sondern – anders als im einstmals radikal-republikanischen Österreich – auch die Adelsprädikate belassen worden waren, in Sachen Kulturförderung kaum mehr in Erscheinung. Die heutige Generation derer Von und Zu bevölkert eher die Seiten der Hochglanz-Magazine als das Parkett der längst bürgerlich gewordenen Kultureinrichtungen.

Der Großteil der über Jahrhunderte angesammelten Kunstwerke befindet sich heute in der Obhut öffentlicher Museen. Etliches aber, quantitativ wie qualitativ, ist in – nunmehr privater – Hand verblieben; manches auch hinzugekommen. Was allerdings Gloria von Thurn und Taxis oder Prinz Franz von Bayern heutzutage erwerben, ist privates Kunstsammeln wie das ihrer bürgerlichen Konkurrenten, mag es auch vom adligen Namen überglänzt werden.

Das Münchner Haus der Kunst unternimmt es nun, in seiner Ausstellung „Schatzhäuser Deutschlands“ erstmals einen Einblick in die verbliebene „Kunst in adligem Privatbesitz“ – wie der Untertitel lautet – zu geben. Rund 30 einstmals regierende Häuser haben 300 Objekte aus ihren Stammsitzen herausgegeben, die teils der Öffentlichkeit zugänglich, teils bis auf den heutigen Tag verschlossen sind; einiges kam auch aus Museen.

Wenn der adelsbegeisterte Gastkurator Wilfried Rogasch seine Auswahl jedoch als „Nationalmuseum auf Zeit“ anpreist, schießt er eindeutig übers Ziel hinaus. Die ganz großen Sammlungen, die der regierenden Häuser unter anderem von Bayern, Preußen, Sachsen oder Württemberg, sind überwiegend bereits im 19. Jahrhundert durch ihre Musealisierung zu öffentlichem Eigentum geworden und in die Obhut des nunmehr bürgerlichen Staates gelangt. Was Rogasch für München ausleihen konnte, macht Staunen und spornt an, den Kontext der Einzelstücke in den jeweiligen Schlössern aufzuspüren – ein „Nationalmuseum“ indessen wird daraus nicht.

Das mindert nicht im Geringsten den Eigenwert dieser Ausstellung. Sie bezieht ihren Reiz im Gegenteil gerade aus der Verschiedenartigkeit ihrer Leihgaben. Sie folgen keinem kunsthistorischen Leitgedanken; allenfalls grobe Einteilungen in „Portraits“ oder „Möbel und Porzellan“ sind möglich, und in der großen Halle, die von den elf Sälen des Ausstellungsparcours umfasst wird, mischen sich die Gattungen ohnedies. Die Halle wird dominiert von den Bronzefiguren des Adriaen de Vries – dem Hofbildhauer Kaiser Rudolfs II. –, der 1620 das Grabmonument der Fürsten zu Schaumburg- Lippe in Stadthagen ausführte. Jetzt bedarf das Mausoleum der Restaurierung, und die Figuren durften reisen.

Zuvor hat der Besucher bereits das vielumraunte, letzte in Adelsbesitz verbliebene Rembrandt-Gemälde bewundern können. Die im Hause Salm-Salm bewahrte „Diana mit Aktäon und Kallisto“ schuf der Amsterdamer Maler 1634 – und schildert die mythologische Szene als heftig bewegtes Spiel der Körper. Ein anderer Höhepunkt ist Anthonis van Dycks vielfigurige Szene „Amaryllis und Mirtillo“ (um 1630) aus den Sammlungen der Grafen von Schönborn, die mit Schloss Pommersfelden bei Bamberg über eines der bedeutendsten Bauwerke des Spätbarocks überhaupt gebieten. Auf Schloss Bückeburg wiederum ist die alttestamentarische „Susanna im Bade“ gleich zwei Mal vorhanden, einmal von Luca Giordano und zum anderen von Guido Reni.

Zahlreich sind die gläsernen Deckelpokale und silbernen Prunkschalen. In dieser Abteilung verstecken sich zwei Köstlichkeiten: die drastische Gruppe der „Völlerei, von der Trunksucht befördert“ von 1557, die in der überreichen Schatzkammer von Burg Eltz nahe der Mosel – seit 850 Jahren in Familienbesitz – gehütet wird, ebenso wie die um eine damals, 1590, höchst exotische Kokosnuss herumgearbeitete Nürnberger „Kokossau“.

Was für ein Sprung hinüber in die Räume mit zeitgenössischer Kunst! Allein die kühl-distanzierten Großfotos, die Candida Höfer in Schloss St. Emmeran in Regensburg, dem prachtvollen Stammsitz derer von Thurn und Taxis, aufgenommen hat, schlagen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die in den Sammlungen der Fürstin Gloria friedlich vereint sind.

Nur – wie lange noch? Völlig unabhängig vom unglücklich gewählten Begriff des „Nationalmuseums“ stellt sich die Frage nach dem patrimoine, dem kulturellen Erbe. Der Begriff entfaltete sich in der Französischen Revolution, die in schönster Dialektik den verhassten Fürstenbesitz erst durch Vandalismus verminderte, um ihn anschließend umso zielstrebiger in Staatsbesitz und -pflege zu überführen. Das Augenmerk auf das Patrimonium in Gestalt fürstlichen Besitzes zu lenken, ist Sinn und Rechtfertigung der Münchner Ausstellung. Denn so idyllisch und zeitlos, wie sich die Schätze im Haus der Kunst präsentieren, ist ihr Status oft nicht.

In den vergangenen Jahren sind etliche Einzelstücke, vor allem aber vollständige Sammlungen über die Tische zumeist Londoner Auktionshäuser gegangen – mithin in alle Winde zerstreut worden. Zusammenhänge historischer und geografischer Art, die über ein Adelshaus hinaus eine ganze Region und ihre Bevölkerung einbegreifen, werden zerrissen.

Welche dramatischen Verluste drohen, hat erstmals 1983 die anstehende Versteigerung des Evangeliars Heinrichs des Löwen aus dem Besitz des Welfen-Hauses Hannover gezeigt, das seinerzeit in einer Hau-Ruck-Aktion von Staat und Mäzenen gesichert werden konnte. Anderenorts, ob in Frankreich, Großbritannien oder den USA, fiele es leicht, dafür den Begriff der Nation einzusetzen. Zuletzt war es die drohende Verscherbelung der Gemäldesammlung derer von Fürstenberg, die zumindest in eine Dauerleihgabe an die Stuttgarter Staatsgalerie umgewandelt werden konnte. Im Zuge der Neuordnung seines Vermögens verkaufte der Markgraf von Baden in den Neunzigerjahren erheblichen Kunstbesitz – wenigstens mit Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand. Die Liste lässt sich fortsetzen, allerdings auch um Fälle missglückter Bewahrungsversuche.

Bei den Veräußerungen der jüngeren Zeit hat sich nicht zuletzt die Kulturstiftung der Länder als Rettungsstelle ausgezeichnet. Am Horizont zeichnet sich bereits ab, was in dieser Hinsicht auf die in Berlin ansässige Institution zukommen wird: 2014 laufen die im Einigungsvertrag von 1990 getroffenen Regelungen für den in der SBZ/DDR entweder von den Sowjets oder später von der DDR enteigneten Kunstbesitz aus, der auf die „neuen Länder“, übergegangen ist. Manches ist bereits gütlich bereinigt worden, beispielhaft in Leipzig oder Gotha. Doch Bund und Länder sind gefordert. Herkunftsnachweise in der Münchner Ausstellung wie „Staatliches Museum Schwerin/Nießbrauch. Sammlung SKH Christian Ludwig Herzog zu Mecklenburg“ geben eine Ahnung von dieser Problematik.

Das ist der tiefere Sinn der Münchner Veranstaltung: ein Bewusstsein zu wecken dafür, dass sich im, juristisch gesehen, privaten Eigentum von Fürstenhäusern jeweils ein Stück Nationalerbe – eben jenes patrimoine – verbirgt, das zu sichern und zu erhalten eine nationale Aufgabe darstellt. Im Katalog werden die einschlägigen steuer- und erbschaftsrechtlichen Probleme angesprochen. Es geht nicht darum, privaten Eigentümern Sonderrechte zu schaffen, sondern jetzigen und künftigen Generationen die Teilhabe am historischen Erbe zu sichern. Es gehört allen Bürgern – wer immer es derzeit auch in seiner Obhut weiß.

München, Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, bis 13. Februar. Katalog im Prestel Verlag, 34 €, geb. 49,95 €.

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