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In Adonis' Bildern mischen sich Schriftzeichen mit abstrakten Formen. Das Werk ohne Titel (Ausschnitt) entstand 2005.

© Gunter Lepkowski

Adonis' erste Einzelausstellung in Deutschland: Auf der Spur blutroter Farbtupfer

Der große syrisch-libanesische Dichter gilt als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Sein malerisches Werk gilt es noch zu entdecken.

Man wünschte, man könnte die arabischen Verse lesen, die der große syrisch-libanesische Lyriker und Schriftsteller Adonis (Ali Ahmad Said Esber) zu Papier und an die Wand gebracht hat. Doch auch wer des Arabischen nicht mächtig ist, lässt sich sofort verzaubern von den kalligrafischen Schriftzügen, die in Verbindung mit bildnerischen Elementen auf langen Schriftbahnen oder kleineren Formaten nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Betrachten einladen. „Vom Wort zum Bild“ heißt die Ausstellung in der Galerie Pankow, die erstmals in Deutschland das bildkünstlerische Werk des 90-jährigen Dichters vorstellt, der zu den wichtigsten Stimmen der arabischen Welt zählt.

Mit schwarzer Feder auf weißem Grund sind die Textzeilen zu Versen und Strophen gruppiert, aus denen sich einzelne Bildelemente und Farbakzente herausbilden, davor-, dahinter- oder dazwischenschieben, gezeichnet, gemalt oder collagiert. Wie eine Verlängerung der Sprache mit anderen Mitteln wird das Schriftbild akzentuiert, umrankt, hinterlegt oder gelöscht. Mal taucht die Schrift kaum lesbar aus einem zarten Nebelgrau wie eine Horizontlinie auf. Mal öffnet sich eine rechteckige Form wie ein Fenster zur Welt. Mal legt ein blutroter Farbtupfer eine Spur, die möglicherweise zum Mythos des Künstlernamens Adonis führt.

Adonis' Poesie steht im Dienst der Schönheit

Nach dem antiken Mythos wurde der bildschöne Liebhaber der Aphrodite aus Eifersucht von seinem Rivalen Ares getötet. Aus jedem Blutstropfen, der aus seiner Wunde floss, soll eine blutrote Anemone (Adonisröschen) gewachsen sein und aus jeder Träne, die Aphrodite um ihn weinte, eine blutrote Rosenblüte. Auch wenn Adonis seine Liebe mit dem Leben bezahlte, erwuchs daraus neue Schönheit und neues Leben. Im Dienst der Schönheit geht es auch dem arabischen Adonis ums Ganze: um Liebe und Tod, Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Erneuerung. In einem seiner letzten Texte aus der Anthologie „Der neue Divan“ (Suhrkamp 2019) schreibt er einen poetischen „Brief an Goethe“, der mit der Zeile endet: „Die Mythen sind verwundet, im Osten wie im Westen, und ich bin nur das Blut, das abtropft.“

Im Bewusstsein für das gemeinsame kulturelle Erbe von Orient und Okzident sowie die religiös-politischen Konflikte zwischen Ost und West zeigt sich Adonis der lyrischen Tradition seiner Heimat ebenso verpflichtet wie der Poetik der Moderne. Für ihn gibt es eine Verwandtschaft zwischen Sufismus (arabische Mystik) und Surrealismus, da es beiden um „das Unsagbare, das Unsichtbare, das Unbekannte“ gehe.

Zehn lange Schriftbahnen bilden den Mittelpunkt der Ausstellung

So verarbeitet er in seinen handgeschriebenen Blättern neben eigenen auch Texte klassischer arabischer Dichter, die sich durch eine radikale Offenheit und kritische Haltung der Religion gegenüber auszeichnen.

Den Höhepunkt der Ausstellung, die rund 50 Werke aus allen Schaffensperioden seit den 1990er Jahren umfasst, bilden die zehn langen Schriftbahnen des Hauptraumes. Sie sind den vorislamischen Gedichten der Mu’allaqat (hängenden Gedichte) aus dem 6. Jahrhundert gewidmet, die aufgrund ihrer Kostbarkeit in der Kaaba in Mekka aufgehängt worden sein sollen. Der dreiteilige Aufbau, der das Leben der Beduinen in Aufbruch und Abschied, Lebensreise und schließlich Ankunft und Lebensbilanz gliedert, lässt sich in der dreistrophigen Komposition der Papierbahnen erahnen.

[Galerie Pankow, Breite Str. 8, bis 22. 3.; Di bis Fr 12–20 Uhr, Sa/So 14–20 Uhr.]

Die großen Bögen durch Raum und Zeit, die Adonis in seinem Werk durchmisst, sind auch seiner eigenen Biografie eingeschrieben. Geboren 1930 an der syrischen Küste, führte ihn sein Weg nach einer kurzen Inhaftierung über den Libanon nach Paris, wo er seit 1985 lebt. Vielfach übersetzt und ausgezeichnet, war Adonis zweimal auch Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin und gilt vielen als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Ähnlich wie sein Freund Peter Handke wurde er jedoch für seine politische Haltung zum Bürgerkrieg in Syrien vielfach kritisiert, als er 2015 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis erhielt. Seine kompromisslos künstlerische Haltung lässt sich vielleicht am besten mit der schriftbildlichen Figur der Arabeske beschreiben, die sich zwischen Wort und Bild, Orient und Okzident im Reich des Unsagbaren, Unsichtbaren und Unbekannten emporrankt.

Dorothea Zwirner

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