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Altar des Versprechens. Adrian Pipers Installation „The Probable Trust Registry“.

© dpa

Adrian Piper im Hamburger Bahnhof: Unterschreiben Sie hier!

Ein Tempel der Vernunft: Die US-amerikanische Künstlerin und Philosophin Adrian Piper will im Hamburger Bahnhof eine ehrliche Gesellschaft gründen.

Das Museum ist die Kathedrale der Gegenwart, das Gotteshaus einer profanisierten Gesellschaft. Das weiß jeder, der sonntags in Ausstellungen geht. Dann sind viele Museen rappelvoll und sowieso der beste Ort am Ende einer Woche, um sich zu versenken, Kunst zu schauen oder über anderes nachzudenken. Architektonisch hat der Hamburger Bahnhof diese Botschaft schon immer dem Eintretenden zugeraunt, der erst einmal staunend stehenblieb angesichts der großartigen Halle mit ihren gebogenen Eisenträgern noch aus der Erbauungszeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Nur war der Bahnhof damals eine Kathedrale des technischen Fortschritts, der neuen kollektiven Beweglichkeit.

Wer den Hamburger Bahnhof allerdings von diesem Freitag an betritt, der besucht eine wahrhaft heilige Halle, einen Tempel der Vernunft. Es gibt drei Altäre, genauer: drei gerundete Empfangstresen mit Rezeptionisten dahinter. Hinter jedem erhebt sich eine deckenhohe, graue Wand, auf der in goldenen Lettern die Gebote dieser quasi-religiösen Gemeinschaft prangen: „Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden.“ „Ich werde immer meinen, was ich sage.“ Und: „Ich werde immer das tun, was ich sage.“ Gewiss, diese Forderungen sollte jeder an sich stellen, der eine humanistische Gesinnung vertritt, den Regeln eines einvernehmlichen Gemeinwesens folgt. Aber als Selbstanspruch in einem Vertrag manifestiert, den die Rezeptionisten dem Besucher aushändigen, nachdem er unterschrieben und damit sein Versprechen gegeben hat – das geht doch zu weit, oder?

Die Grundwerte einer Gesellschaft neu in Kraft setzen

Der Hamburger Bahnhof bietet mit Adrian Pipers Ausstellung „The Probable Trust Registry. The Rules of the Game #1-3“ zwar weniger Kunst, um sich zu versenken, das ästhetische Vergnügen ist sekundär, aber ein Stück, um nachzudenken, ja sein ganzes künftiges Handeln neu zu reflektieren. Piper fordert nicht weniger als ein lebenslanges Engagement, um dem wachsenden gegenseitigen Misstrauen ein Ende zu bereiten, die Grundwerte einer Gesellschaft neu in Kraft zu setzen: „Um gegenseitiges Vertrauen aufbauen zu können, müssen wir ab jetzt damit beginnen, uns darin zu üben, vertrauenswürdig zu werden.“ Die Künstlerin versucht Stützen in ein bröckelndes soziales Fundament zu rammen, indem sie dem Einzelnen das Versprechen abnimmt, sein eigenes Wort wieder zu ehren. Oder ihn zumindest bei der Verantwortung packt, wenn er schon nicht unterschreibt.

Eine solch weitreichende Konsequenz ist den wenigsten Kunstwerken gegeben. Die innewohnende Radikalität für unser aller Zusammenleben erkannte auch die Jury der letzten Biennale di Venezia und verlieh der US-Künstlerin den Goldenen Löwen für das beste Werk. Damals war es in der Fülle der Bilder und Installationen im Arsenale untergegangen, man versuchte sich nach der Bekanntgabe der Preisträgerin mühsam ihres Beitrags zu erinnern. 2015 hatte Okwui Enwezor als Kurator lauter engagierte Kunst zusammengebracht, die Biennale gab sich politisch, das komplette „Kapital“ von Karl Marx wurde von einer Bühne verlesen – und verpuffte wie Piper.

Das ist im Hamburger Bahnhof nun anders, die Installation der US-Amerikanerin wird geradezu zelebriert, ihre partizipative Gruppenperformance mit Bombast betrieben. Vor zwei Jahren gab es allerdings auch noch nicht Trump und war das Wort postfaktisch noch nicht in aller Munde. Der neue Präsident in den Vereinigten Staaten, der drohende Rechtsruck in Europa haben ein noch bedrohlicheres Szenario hergestellt, durch das vom Museum eine dezidierte gesellschaftliche Relevanz gefordert ist.

Ihr Werke befindet sich genau an dem Ort, wo sie es haben wollte

Als „Museum für Gegenwart“ zieht der Hamburger Bahnhof also am Glockenstrang und feiert nun einen echten Weihedienst im Gotteshaus der Kunst. Ob Adrian Piper die Inszenierung gefällt, lässt sich nicht in Erfahrung bringen, denn die Künstlerin meidet aus Prinzip ihre eigenen Vernissagen, Interviews gibt sie schon lange keine mehr, denn die Kunst soll für sich sprechen. Nur eins ist sicher: Ihr Werk befindet sich genau an dem Ort, wo sie es haben wollte.

Schon kurz nach Verleihung des Goldenen Löwen kontaktierte die Künstlerin den Direktor des Hamburger Bahnhofs, um ihn für den Ankauf zu gewinnen. Der Preis würde weitaus geringer ausfallen als für einen „Balloondog“ von Jeff Koons, versprach sie ihm. Die Kosten übernahm glücklicherweise der Verein der Freunde der Nationalgalerie. In ein Museum der deutschen Hauptstadt gehörte das Werk nach Meinung Pipers hin, in die Nähe der politischen Zentrale jener Nation, deren Grundgesetz für so viele andere Länder vorbildlich ist. Zugleich holte es die amerikanische Künstlerin und Philosophin damit in ihre neue Heimatstadt, in der sie seit 2005 lebt. Damals hatte sie beschlossen, nicht in die USA zurückzukehren, weil ihr Name auf der Liste verdächtiger Reisender geführt wurde. Piper zog die Konsequenz daraus und kehrte nicht mehr zurück. Drei Jahre später wurde ihr von der Wellesley der Lehrstuhl für Philosophie entzogen. Piper praktizierte weiter von Berlin aus, gründete ein eigenes Institut, gibt seit 2011 das englischsprachige Fachmagazin „The Berlin Journal of Philosophy“ heraus und erhielt vor sechs Jahren von der American Philosophical Association als späte Wiedergutmachung den Titel einer emeritierten Professorin.

Kluft zwischen Schein und Sein tritt zutage

„The Propable Trust Registry“ ist nun ihre erste Einzelausstellung in Deutschland. Auf der „Berlin Biennale“ im vergangenen Jahr war sie mit ihren „HOWDY“-Schildern vertreten. Die Kurzformel für das amerikanische Begrüßung „How do you do?“ stand auf Zugangsverbotsschildern und konfrontierte den Betrachter mit dem Widerspruch zwischen konventionalisierter Höflichkeit und realen gesellschaftlichen Zugangsmöglichkeiten. Ähnlichen Prinzipien folgt auch das Vertragswerk, das der Besucher nun im Hamburger Bahnhof vorgelegt bekommt. Die Kluft zwischen Schein und Sein tritt hier noch deutlicher zutage, denn hier wird Aufrichtigkeit eingefordert. Wer unterschreibt, widersteht erklärtermaßen der Bestechlichkeit und Lüge. Sein Name wird die nächsten 100 Jahre in einem Register geführt. Nach Ende der Ausstellung erhalten nur die Beteiligten eine Liste der Mitglieder dieses verschworenen anonymen Vereins, der ein Anfang für die Rettung des Ehrenworts sein könnte.

Auch für das Museum, in dem sich das Werk befindet, stellt es einen ethischen Kodex dar. Es unterwirft sich ebenso dem Anspruch, den es zunächst noch metaphorisch ausstellt. Daran wird man es künftig messen: am Umgang mit Mitarbeitern, Ressourcen, an seinem Programm. Mit der Frage nach der moralischen Integrität trifft der Hamburger Bahnhof einen Nerv der Zeit. Es mag pietistisch wirken, wie sie gestellt, wie sie vertraglich bindend beantwortet werden soll. Aber als Ort der gesellschaftlichen Grundlagenforschung hat sich das Museum schon immer verstanden.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50–51, bis 3. 9.; Di bis Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr.

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