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Ich Affe, du Darwin. „Beulen“, eine Fotocollage des Künstlers Klaus Weber von 2008.

©  Haus der Kulturen der Welt

Affen-Kultur: Planet der Primaten

Beeindruckend menschlich: Die Ausstellung „Ape Culture“ in Berlin.

Haben Sie zehn Finger und zehn Zehen? Neigen Sie im Alter zu Haarausfall? Sind Sie neurotisch? Benutzten Sie Löffel? Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantworten, heißt das längst nicht, dass Sie ein Mensch sind. Sie könnten auch ein Bonobo oder ein Schimpanse sein. Der Künstler Marcus Coates und der Primatologe Volker Sommer haben Eigenschaften gesammelt, die menschliche und nichtmenschliche Primaten teilen, und diese in Frageform an die Wand im Haus der Kulturen der Welt geschrieben.

Die Ausstellung „Ape Culture“ beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Affe. Markiert der Affe immer noch die Grenze zwischen Mensch und Tier? Brauchen wir das haarige Gegenüber, um sagen zu können, wo das Menschliche anfängt und wo es aufhört? Oder ist der Affe als „Vorstufe“ des Menschen ein Narrativ vergangener Zeiten, in denen man noch an die Überlegenheit der menschlichen Spezies glauben konnte?

Der Affe als Schnittstelle zum Menschen

„Ape Culture“ schließt gut an die große Anthropozän-Ausstellungsreihe im Haus der Kulturen an, die sich vergangenes Jahr mit der Frage beschäftigte, wie sich der Mensch, in einer in jeder Hinsicht vom ihm selbst beeinflussten Welt, künftig orientieren kann. Wie er forscht, Wissen generiert, kategorisiert und schlussfolgert, wenn die alte Ordnung des Wissens, die binäre Einteilung in Mensch und Tier, Natur und Kultur nicht mehr gilt. Und wenn folglich der Affe als Schnittstelle zum Menschen neu hinterfragt werden muss.

Die Liste der hominiden Eigenschaften, die Coates und Sommer erstellt haben, ist jedenfalls nicht nur lang, sie ist auch beeindruckend menschlich. Wie der Mensch den Affen nutzte, um sein eigenes Sozialverhalten zu erklären, zeigt die Ausstellung an verschiedenen Stellen. Im ersten Teil setzen sich Künstler wie Pierre Huyghe mit seinem Video über einen trainierten Affen als Kellner, Louise Lawler oder Rosemarie Trockel mit dem Affen als Zerrspiegel des Menschlichen auseinander. Um die Disziplinierung des Körpers und um das Herrwerden über die Triebe kreisen gleich mehrere Arbeiten, zum Beispiel der Film „Kopfkino“ der Berliner Künstlerin Lene Berg, die das Drehbuch für ihren Film in Gesprächen mit acht Frauen entwickelte, die als Dominas tätig sind.

Die Hierarchien verschwimmen

Eine weitere, sehr vielschichtige Videoarbeit von Anja Dornieden aus Berlin zeigt javanische Schausteller bei einer Affen-Performance auf der Straße – die Affen machen Kunststücke in einem putzigen Kostüm. Gleichzeitig sind sie es, die die Dompteursfertigkeiten ihrer Herrchen zur Aufführung bringen. Die Hierarchien verschwimmen, auch weil auf einer zweiten Tonspur Ausschnitte aus einem amerikanischen Knigge-Regelwerk vorgelesen werden.

Was man als Mensch zu tun hat und was nicht, was gewünscht ist und was nicht, lässt sich wunderbar in der Differenz zum Affen festmachen. Im vergangenen Jahrhundert wurden vermeintlich menschliche Wesenszüge gern anhand der Entwicklungsgeschichte erklärt, das zeigen die Bücher, Zeitungsausschnitte und Forschungsberichte im dokumentarischen Teil der Ausstellung. Lange Zeit nahmen Forscher an, dass sich bestimmte Grundzüge der Primatengesellschaft im menschlichen Sozialverhalten durchschlagen, etwa die Dominanz der Männchen, Aggressivität, Raubtierdenken.

Was bedeutet es, sozial zu sein?

So werden bestimmte Verhaltensweisen in Wirtschaft, Beruf und Alltag gerechtfertigt oder optimiert, indem man sich bewusst vom tierischen Anteil distanziert. Im 20. Jahrhunderts haben Affen als „psychobiologische Fundgruben“ gedient, so eine Aussage des amerikanischen Psychologen und Primatologen Robert Yerkes. Das heißt aber auch, dass das in den letzten 20 Jahren neu entwickelte Interesse an den sozialen, geselligen und empathischen Verhaltensweisen der Primaten damit zusammenhängen könnte, dass diese Verhaltensweisen in der Welt der Menschen als wichtige ökonomische Ressourcen neu entdeckt wurden.

Die Darstellung von Affen stand in der westlichen Welt traditionell für die Abwesenheit von Kultur. Inzwischen gilt es in der Primatologie als gesetzt, dass Menschenaffen eine Kultur ausgebildet haben. Der Affe gilt als kulturelles und als soziales Wesen. Das berührt eine höchst interessante Frage: Was bedeutet es eigentlich, sozial zu sein?

„Das Soziale lässt sich schlecht objektivieren, wir ringen um Worte, wenn wir es beschreiben sollen“, sagt Anselm Franke, der die Ausstellung zusammen mit Hila Peleg kuratiert hat. Und auch wenn der dokumentarische Teil der Ausstellung sehr aufschlußreich ist, der künstlerische Teil darf nicht fehlen. Wenn es darum geht, das Unsagbare auszudrücken, sind Künstler klar im Vorteil. Sie dekodieren Gesten, Selbstdefinitionen und Werte und zeigen, dass Imitieren, Nachahmen und Nachmachen ein wichtiger Bestandteil der Kunst und der Affen-Kultur ist.

Bis 6. Juli 2015, Haus der Kulturen der Welt. Mi–Mo 11–19 Uhr.

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