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Kultur: Afrika wird im Berliner Völkerkundemuseum erstmals in seiner Kunst gezeigt

Für die nächsten Jahre werden im Obergeschoss die Kunstwerke aus Afrika und im Erdgeschoss die Ausstellung über nordamerikanische Ureinwohner gezeigtNikolaus Bernau Was soll das sein, afrikanische Kunst? Masken mit roten Augen, Fetische mit spitzen Brüsten und lang hängendem Penis, feste Hocker mit Tierfiguren, beleibte Frauen mit schöner Stimme, Trommeln und bunten Tüchern.

Für die nächsten Jahre werden im Obergeschoss die Kunstwerke aus Afrika und im Erdgeschoss die Ausstellung über nordamerikanische Ureinwohner gezeigtNikolaus Bernau

Was soll das sein, afrikanische Kunst? Masken mit roten Augen, Fetische mit spitzen Brüsten und lang hängendem Penis, feste Hocker mit Tierfiguren, beleibte Frauen mit schöner Stimme, Trommeln und bunten Tüchern. Magische Objekte, Dekorationsgegenstände und natürlich Musik. Aber richtige Kunst, so wie Leonardo, Picasso, Klee?

Seit fünfhundert Jahren befinden sich das Afrika südlich der Sahara und Europa in Kontakt, und doch ist der "schwarze Kontinent" im Norden bis heute unbekannt geblieben. Im besten Fall wird hier er als Rohstoffquelle betrachtet, im negativsten als Lieferant billiger Arbeitskräfte, und im Normalfall als Ort von natürlichen, politischen oder sozialen Katastrophen. Aber Kunst?

Diese Frage löste schon heftige Diskussionen aus, als vor drei Jahren Christos Joachimides im Martin-Gropius-Bau die Monumentalschau "Afrika. Die Kunst eines Kontinents" mit Hunderten von Objekten zeigte, die lediglich ihre geographische Herkunft zwischen Alexandria und Kapstadt gemeinsam hatten; und eben das - für europäische Augen - exotische und hinreißend exquisite Äußere. Man zieh einander des Rassismus, der unreflektierten "Negrophilie", des finsteren Eurozentrismus.

Nun kann man wieder streiten und mindestens auch viel über die eigene Kultur und ihre Wahrnehmung des Fremden lernen. Denn das Völkerkundemuseum in Dahlem eröffnet die im Titel hoch greifende neue Dauerausstellung: "Afrika. Kunst und Kultur". Zu sehen sind zweihundert "nach ihrem Kunstwert" ausgewählte Objekte: Ein Bruchteil der riesigen Afrika-Sammlung des Museums, wie der Kurator Hans-Jürgen Koloß betont, eine kostbare Kollektion von Super-Top-Highlights.

So manches Objekt wie etwa die langgezogene Ngil-Maske der Fang aus Gabun mit den hochgezogenen Brauen und der kalkweißen Farbe war schon öfter zu sehen. Andere, wie die großen, mit Klingen und Metallstücken geradezu gespickten Zauberfiguren der Yombe aus dem Kongo stammen aus Beständen des Museums, die 1945 von der sowjetischen Trophäenkommission in die UdSSR gebracht worden waren, 1958 in die DDR zurückgelangten, jedoch aus Angst vor Rückgabeforderungen über Jahrzehnte in Leipzig verborgen gehalten wurden. Eine Geschichte übrigens, die nirgends erzählt wird. Überhaupt wird Geschichte nur in sensibel auf die Stimmungen eines deutschen Publikums abgestimmten Häppchen verabreicht. Auf die verheerenden Wirkungen des Sklavenhandels wird hingewiesen, auf den deutschen Kolonialismus jedoch nicht. Dafür wird das Brandschatzen britischer Soldaten in Benin 1887 erwähnt, das zur "Entdeckung" der Benin-Bronzen und zur ersten Einsicht der Europäer führte, dass südlich der Sahara hochstehende Kulturen mit einer Kunst existieren, die jener der Renaissance gleichrangig war. Und auch die Zwangsexilierung des Königs der Bamum durch die Franzosen wird dargestellt, der noch 1908 seinem damaligen Oberherrn Wilhelm II. einen mit Muscheln und Perlen bestickten Thron geschenkt hatte.

Begeben wir uns auf Entdeckungsreise. Die Objekte sind aufgestellt in den hellen, klaren Räumen, in den fünfziger Jahren für europäische Skulpturen erbaut. Diese wandern - irgendwann einmal - ins Bode-Museum. Für die nächsten Jahre werden hier in Dahlem im Obergeschoss die Kunstwerke aus Afrika und im Erdgeschoss die Ausstellung über nordamerikanische Ureinwohner gezeigt, die in zwei Monaten eröffnet. Um 2004, soll nach Angaben der großzügig und neu planenden Museumsleitung der marode Bauteil abgerissen werden. Vor allem die Glasscheiben machen Probleme, sie springen in der Sonne.

Die Afrika-Ausstellung ist der Startschuß zum großen Umbau - dem ab November die nach Meinung aller Fachleute didaktisch vorzügliche und technisch exzellent funktionierende Ausstellung zur Altamerikanischen Archäologie zum Opfer fallen soll. An ihrer Stelle entsteht der neue "Prolog" des Völkerkundemuseums, die einzigartige Sammlung muss ins Depot.

Das stark einfallende Licht ist durch leicht gelbliche Vorhänge gefiltert, einzelne Spotlights bringen Akzente auf besondere Objekte. Schlichter, harter Teppichboden, nichts hallt, das Publikum verläuft sich in gedämpft nobler Atmosphäre. Die Vitrinen sind durchsichtig, lange Blicke öffnen sich, werden immer wieder gefangen von kräftigen Farben und großen Formen. Im Großen und Ganzen ist die Ausstellung, ganz wie aus den klassischen Völkerkundemuseen gewohnt, nach Regionen und nach Völkern gegliedert: Auf Westafrika folgt das nördliche und das südliche Zentralafrika, dann Ostafrika. Zumindest in den ersten Teilen scheint die Aufstellung der Vitrinen ein wenig die Natur der Regionen zu spiegeln: Dichtgedrängt wie die Dschungel Westafrikas zu Beginn, dann lösen sich die Vitrinen voneinander, um Objekte aus den Weiten der Graslandschaft Kameruns zu zeigen, schließen sich wieder zusammen für die aus der Dichte des Kongos. Für die Steppen Ostafrikas war dann freilich für dies Konzept nicht mehr genug Platz. Andererseits wird Ostafrika überhaupt randlagig behandelt: Fotos von Massais, Häuptlingsstühle der Nyamwezi aus Tansania, Masken und Pfeifen.

Dem Ausstellungstext zufolge hat das Fehlen von "Kunst" etwas zu tun mit der Nomadenkultur und der kargen Natur Ostafrikas. Mag sein. Eher scheint diese Lücke die klassische Rezeption afrikanischer Objekte durch Europäer zu spiegeln: sie konzentrierten sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als "Negerkunst" marktfähig geworden war, auf West- und Zentralafrika. Diese britisch und französisch kolonisierten Regionen waren gut erreichbar für die Händler aus den Kunstmarktzentren Paris und London.

Auch die portugiesischen Seefahrer landeten im 15. und 16. Jahrhundert zuerst in Senegal, Guinea und Ghana auf der Suche nach Gold, nach Gewürzen und nach dem besten Weg Richtung Indien und China. Sie berichteten nicht nur über die reichen und mächtigen Königshöfe der Yoruba und in Benin, sondern brachten auch einen schwunghaften Handel mit Sklaven und Luxusmaterialien in Gang. Und so wurden für die europäischen Ansprüche im heutigen Sierra Leone und Benin kostbare Elfenbeingeräte und -behälter gedrechselt, mit europäischen Mustern, aber afrikanischen Figurentypen. Und im Kongogebiet entstand ein reizender Heiliger Antonius, mit naivem Rundgesicht und fetischartigem Kind auf dem Arm. Man konzentriert sich in der Ausstellung, wie es seit dem großen Völkerkundler Adolf Bastian, dem Gründer des Museums, üblich ist, sonst unausgesprochen auf die "primitiven" Kulturen. Möglichst wenig sollen sie in Kontakt stehen mit den "Hochkulturen". So wird die islamische Swahili-Kultur Ostafrikas, die auf Sansibar und an der tansanischen Küste eine ganze eigene Architekur, eigene Kleidung und eigene Riten hervorbrachte, nur mit einem Wandtext erwähnt und ansonsten beiseitegelassen.

Die Wandtexte versuchen, wie Koloß andeutet, den europäisch definierten Kunstobjekten etwas zurückzugeben von ihrer kulturellen Bedeutung, die klassische völkergeographische Betrachtung mit der von einzelnen Themen zu verbinden, etwa "Afrikanische Frauen" oder "Afrikanisches Königtum". Deutlicher wird diese Verbindung allerdings in den noch ganz konventionell völkerkundlich eingerichteten Räumen aus den siebziger Jahren, die erstaunlicherweise durch den Kontrast mit der Kunstausstellung auch gewonnen haben; alles wirkt frischer, offener, nicht mehr so verbiestert-didaktisch. Man kann nun wählen!

Masken sind neben den "Fetischen" aus dem Kongogebiet seit der Jahrhundertwende zum Synonym für Afrika geworden, sie passen ins Klischee des edlen wie das des wilden Wilden, und sie sind für Europäer eindeutig als "Skulptur", also als Kunst zu identifizieren. Doch wird meistens übersehen - selbst wenn so viele hervorragende Objekte wie in Dahlem versammelt sind -, dass die Holzgesichter oft nur ein winziges Fragment ganzer Ensembles sind. In den Ecken der großen Halle stehen zwei dieser Gruppen. Auf Puppen montiert, geben die reichen, bunten Kostüme aus Stroh und Stoffen, aus Ketten, dramatisch aufgetürmten Frisuren und eben den oft winzig kleinen Holzgesichtern einen Eindruck von der Wirkung, die ein Ritual haben kann. Der Kunstcharakter liegt nicht nur in der kleinen Skulptur, sondern in der ganzen, gesellschaftlichen Handlung. Nur die Maske zu zeigen, das ist etwa so, als wenn man aus einem mittelalterlichen Altar zwei Skulpturen herausnimmt und damit europäische Kunst und das Christentum zu erklären versucht.

Kunst in Afrika also. Hans-Joachim Koloß sieht sie als europäische Erfindung, genauso wie die Forderung nach Rückgabe von Objekten. Unterschiedliche Kulturen hätten unterschiedliche Mechanismen, sich ihrer Gegenwart und Geschichte zu versichern. Andererseits spricht inzwischen selbst der König von Oku in Kamerun in seiner Eröffnungsrede von Kunst als dem Ausdruck nationaler Selbstbestimmung. Das europäische Konzept breitet sich also aus, und vielleicht werden dann auch einmal die afrikanischen Museen so gut besucht werden, wie es dieser Ausstellung zu wünschen ist.Museum für Völkerkunde Dahlem, Lansstraße, Di bis So 10-18 Uhr. Katalog 49 Mark.

Nikolaus Bernau

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