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Mossad-Agentin Mona (Neta Riskin) ist ihrer neuen Zimmergenossin gegenüber anfangs noch misstrauisch.

© NFP

Agentenfilm aus Israel: "Aus nächster Distanz": Altbau mit Gefahrenzulage

Diplomatie mit weiblichen Mitteln: In dem israelischen Thriller „Aus nächster Distanz“ muss eine Mossad-Agentin eine arabische Überläuferin beschützen.

Von Andreas Busche

Die Frau mit dem bandagierten Kopf steht am Herd und kocht ein Gericht aus ihrer Kindheit. Das Essen der Heimat gehört zur kulturellen Prägung des Menschen. Nahrungsaufnahme ist mehr als bloß Auslöser einer Stoffwechselfunktion, Essen ist auch eine Frage der Identität. Oder eben eine Metapher. „Als wir klein waren, hat meine Mutter einmal die Woche Sauda djaj (Hühnerleber) gekocht“, erklärt Mona (Golshifteh Farahani). „Wir sagen dazu: Du erfüllst meine Leber mit Freude. Aber meine Mutter hat sie immer mit viel Chili zubereitet, damit ich nicht vergesse, dass die Liebe einen auch verbrennen kann.“

Die Erinnerung und der Schmerz sind in Eran Riklis’ Film „Aus nächster Distanz“ unauflöslich verbunden für die libanesische Frau, die mit einem Hisbollah-Anführer liiert ist. Aber auch Naomi (Neta Riskin), die bei Mona mit am Tisch sitzt, hat eine schmerzvolle Vergangenheit hinter sich. Die Mossad-Agentin verlor ihren Mann bei einem Einsatz. Nun sitzen die Frauen, ehemalige Gegnerinnen, in einem „Safehouse“ des Mossad fest: Naomi ist zum Schutz der libanesischen Informantin abgestellt, der der Geheimdienst eine neue Identität besorgt hat.

Gelassen arbeitet Regisseur Riklis am cineastischen Projekt der Verständigung

Der israelische Regisseur Eran Riklis ist der Diplomat unter den Regisseuren des Weltkinos. Während sich die Krise im Nahen Osten seit Jahrzehnten zyklisch immer wieder verschärft und danach kurzzeitig zu einem volatilen Waffenstillstand abflaut (ohne dass die Waffen jemals wirklich schweigen), arbeitet Riklis mit bewundernswerter Gelassenheit an seinem cineastischen Projekt der Verständigung. Geopolitik ist bei ihm immer auch Symbolpolitik.

In seinem bisher größten internationalen Erfolg „Lemon Tree“ von 2008 entzündet sich der israelisch-arabische Konflikt am titelgebenden Zitronenhain, der sich am Rande des Westjordanlandes im Garten einer palästinensischen Witwe befindet. Für den israelischen Verteidigungsminister, der das Nachbargrundstück jenseits des Grenzzauns bezieht, stellt der Hain ein Sicherheitsrisiko dar. Während die Männer langsam den Kriegsapparat hochfahren, solidarisiert sich die Frau des Politikers mit der Witwe. So naiv das Baumgleichnis klingt, gelingt es Riklis doch, der aufgeladenen politischen Situation eine gute Portion gesunden Menschenverstand zu verabreichen. Seine Filme finden immer wieder einleuchtende Konstellationen für einen Konflikt, auf den die Politik längst nur noch mit Eskalation zu antworten weiß.

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Mit „Aus nächster Distanz“ zieht sich Riklis erstmals aufs Genrekino zurück, wobei an ihm wahrlich kein Thriller-Regisseur verloren gegangen ist. Sein Agentenfilm ist eher ein Kammerdrama, das mit Elementen des Psychothrillers spielt. Das operative Geschäft fungiert in erster Linie als Spielfeld multilateraler Machtinteressen. Hier stellen die Männer die Regeln auf. „Wir kümmern uns um unsere Leute“, versichert Naomis Vorgesetzter (Yehuda Almagor) seinen verschiedenen Alliierten. Doch während Monas gehörnter Ehemann alle Hebel in Bewegung setzt, um die Hisbollah auf die Spur der Abtrünnigen zu bringen – die Amerikaner zum Beispiel würden sie gerne als Bauernopfer einsetzen, um eigene Absprachen mit dem Iran zu erfüllen –, sind die Frauen auf sich allein gestellt.

Die Politparabel als Genrefilm

Dass „Aus nächster Distanz“ eher Politparabel als Genrefilm sein möchte, verraten schon kleine Details. Für eine topausgebildete Agentin zum Beispiel verhält sich Naomi ausgesprochen dilettantisch. Auch das Setting verströmt das Flair von Groschenheften: Die zwei schönen Kombattantinnen in der Hamburger Altbauwohnung mag ihre Weltanschauung trennen, aber natürlich sind sich die Frauen ähnlicher als ihr Äußeres zunächst vermuten lässt. Mona sorgt sich nach dem chirurgischen Eingriff um ihr hübsches Gesicht, Naomi trägt bevorzugt eine Buchhalterinnen-Brille. Ihre gemeinsame Schmink-Session ist ganz süß, schrammt aber auch haarscharf am camp vorbei.

Es sind dann aber ihre Mutterinstinkte, die die Frauen zusammenbringt. Naomi lässt sich künstlich befruchten und verabreicht sich täglich Hormonspritzen, Mona musste auf der Flucht ihr Kind zurücklassen. Die persönlichen Geschichten funktionieren als Spiegel der Weltpolitik aber nichts so gut wie zuletzt in Riklis’ Coming-of-Age-Film „Mein Herz tanzt“ (2014) über einen arabischen Israeli zur Zeit der ersten Intifada. Zudem verstellt „Aus nächster Distanz“ seine Perspektive immer wieder durch konfuse Rückblenden und Ortswechsel, die wohl spy game-Atmosphäre suggerieren sollen.

Riklis’ Stärke besteht darin, seine Geschichten mit einem feinen Gewebe persönlicher und historischer Erfahrungen zu durchziehen. In der Altbauwohnung, in der Mona auf ihr neues Leben wartet, habe sich während der NS-Zeit eine jüdische Familie versteckt, erzählt der Hausmeister einmal. Die böse Ironie, dass dieselbe Wohnung nun ihr zum Schutz dient, entgeht der Antisemitin nicht: „Alles in diesem Haus ist verflucht.“ Riklis relativiert diese so unterschiedlichen Fluchterfahrungen keineswegs, er spiegelt sie vielmehr ineinander.

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