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Rein oder raus. Ai Weiwei darf inzwischen Peking verlassen, nicht aber ins Ausland reisen. „Ist das Freiheit, wenn man an einem Seil geführt wird?“, fragt der Dissident.

© dapd

Ai Weiwei: Schachspiel auf Chinesisch

Ein Gespräch mit Ai Weiwei nach dem Ende seines Hausarrests in Peking. Die Behörden spielen ihr sadistisches Spiel weiter. Seine Reise nach Berlin fällt aus.

Es war ein Polizeiaufgebot, wie es in Peking sonst nur rund um den Tiananmenplatz zu besichtigen ist, wenn sich das Datum des Massakers vom 4. Juni 1989 jährt. 50 Polizeiwagen parkten vor dem Gerichtsgebäude in der Chaoyanggongyuan-Südstraße, rund 100 Polizisten in Zivil und Uniform kontrollierten Passanten. Journalisten wurde damit gedroht, ihre Pressekarten einzuziehen, falls sie vor dem Gerichtsgebäude stehen blieben, in dem Ai Weiweis Klage gegen des Pekinger Steuerbüro ergebnislos verhandelt wurde. Der chinesische Staat empfindet die Bedrohung durch den Künstler und Regimekritiker offenbar als riesig – das hat er auch am Donnerstag wieder unterstrichen.

China verbietet es Ai Weiwei weiterhin, ins Ausland zu reisen. Zwar hat die Pekinger Polizeibehörde am Donnerstag ein Jahr nach seiner Freilassung seine Auflage aufgehoben, Peking nicht verlassen zu dürfen. Gleichzeitig ist es ihm nicht erlaubt, China zu verlassen. „Ich fühle mich nicht frei“, sagte Ai Weiwei dem Tagesspiegel, „ist das Freiheit, wenn man an einem Seil geführt wird?“ Entgegen früherer Zusagen hat der 55 Jahre alte Künstler seinen Reisepass nicht zurückerhalten. „Sie machen das ohne jede gesetzliche Grundlage“, sagte er. Auf seine Frage, wann er ihn bekomme, habe ein Polizeibeamter geantwortet: „Kein Kommentar“. Der Subtext lautet offenbar: Es kommt darauf an, wie du dich benimmst.

Das beweist auch eine Äußerung der Beamten auf der Nangao-Polizeistation in Peking. Als er nach den Gründen für die Verweigerung des Passes fragte, führten die Beamten erneut Vorwürfe an, die ihm schon während seiner 81 Tage währenden Haft 2011 gemacht wurden: Sie könnten gegen ihn wegen Bigamie (er hat einen unehelichen Sohn mit einer Frau, mit der er nicht verheiratet ist), Pornografie (es gibt künstlerische Nacktaufnahmen von ihm und mehreren Frauen) und unerlaubtem Geldwechsel (er soll in der Mongolei Mitarbeiter in Euro bezahlt haben, obwohl er Einnahmen in Yuan hatte) ermitteln. „Das ist lächerlich“, sagt Ai Weiwei, „es ist so lustig, dass es selbst der Beamte nicht mit einem ernsten Gesicht aussprechen kann.“

Seine Reisepläne sind durch die Restriktionen vorerst hinfällig geworden. Er hatte im Oktober nach Washington und New York reisen wollen, um seine erste amerikanische Ausstellung zu besuchen und Freunde zu treffen. Auch eine Reise nach Berlin, um mit der Universität der Künste über eine geplante Dozententätigkeit in Berlin zu sprechen, ist vorerst gestoppt. Unklar ist auch, was mit dem Projekt seines Kommunikationsortes im Pfefferberg passiert. „Alle diese Pläne sind von dieser Entscheidung betroffen“, bestätigte er.

Ai Weiwei hat im vergangenen Jahrzehnt staatliches Unrecht und behördliche Willkür in China immer vehementer kritisiert und ist damit zu einem der prominentesten chinesischen Dissidenten geworden. Im April 2011 hielten ihn Sicherheitsbeamte 81 Tage ohne Angabe eines Grundes an unbekanntem Ort gefangen. Anschließend warfen sie ihm Steuervergehen vor und verurteilten ihn zu einer Zahlung von 15,22 Millionen Yuan (1,9 Millionen Euro). Ai Weiwei sammelte von seinen Anhängern Spenden in Millionenhöhe, um Einspruch gegen das Urteil einlegen zu können. Er versprach seinen Anhängern, das Geld zurückzuzahlen. Zudem verklagte er seinerseits die Steuerbehörden wegen der Benutzung illegaler Methoden.

Als diese Klage am Mittwoch verhandelt wurde, durfte er jedoch sein Haus nicht verlassen. Sein Anwalt Liu Xiaoyuan wurde sogar an einen unbekannten Ort gebracht und musste Peking anschließend überstürzt verlassen. „Er ist entführt worden“, so Ai Weiwei.

China kommt ihm angesichts dieser Ereignisse immer seltsamer vor. „Was sie getan haben, ist unglaublich und nicht zu akzeptierten“, sagte er. Im Gegensatz zu den Beteuerungen der chinesischen Führung gibt es in China keine Rechtsstaatlichkeit. „Egal wer, das Rechtssystem, die Steuerbehörden, die Gerichte, niemand hat ein professionelles Niveau“, sagt Ai Weiwei, „sie machen so viele unvorstellbare Dinge im Namen der Aufrechterhaltung der Stabilität.“ Er beklagt vor allem die fehlende Transparenz in China. „Sie haben Angst, die Dinge offen auf dem Tisch zu diskutieren, weil jeder darüber lachen würde, wenn es an die Öffentlichkeit kommen würde.“

Im aktuellen Dokumentarfilm „Never Sorry“ beschreibt Ai Weiwei seine Auseinandersetzung mit dem chinesischen Staat als ständiges Schachspiel. Es ist offensichtlich, dass in dieser Woche eine neue Partie eröffnet worden ist.

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