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Der Künstler Ai Weiwei.

© Imago/Liselotte Sabroe

Ai Weiwei und seine Retrospektive: Wie politisch kann Kunst sein?

Ego versus Engagement: Der chinesische Exilkünstler Ai Weiwei zieht in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen eine Bilanz seines Schaffens.

Der Kunstbetrieb kennt viele Celebritys: Gerhard Richter, Marina Abramovic, Georg Baselitz, Cindy Sherman, um einige lebende zu nennen, Pablo Picasso und Frida Kahlo sowieso. Der Markt braucht Prominenz. Dazu gehört eine individuelle Story, sie kann die Kunst noch einmal anders zum Strahlen zu bringen und Diskussionen befeuern – wie es regelmäßig mit den irrsinnigen Auktionsrekorden geschieht. Der chinesische Künstler Ai Weiwei stellt in dieser Welt eine Ausnahme dar. Über die Ästhetik und Intellektualität seiner Werke hinaus wirkt er direkt politisch. Er sendet Botschaften. Er steht dafür mit seiner Existenz ein. Und er ist ein Künstlerstar.

Wie es um Ai Weiweis Kunst bestellt ist, wird nun fünf Jahre nach der großen Ausstellung im Berliner Gropius-Bau, die der Künstler noch von Peking aus dirigierte, in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einer Prüfung unterzogen. In Düsseldorf zieht Ai Weiwei in einer großen Retrospektive Bilanz.

Ai Weiwei zog nach Berlin

Seit seinem Auftritt vor zwölf Jahren auf der Documenta 12 in Kassel hat er in Deutschland seine größte Gemeinde. 2015 machte er Berlin zum Wohnsitz, nachdem er seine chinesische Heimat verlassen hatte, um sich dem Druck der Behörden zu entziehen. Bereits im Jahr 2001 hatte er in Berlin eine erste Ausstellung in der Galerie Aedes, damals noch mit Architekturentwürfen. Wenig später begann er mit den Architekten Herzog & de Meuron für Peking das Olympiastadion von 2008 zu entwickeln.

Kritisch wurde es es für den heute 61-jährigen Künstler, Aktivisten und Blogger, als er über das von der Regierung heruntergespielte Erdbeben von Sichuan berichtete, als er den Skandal um kontaminierte Babynahrung benannte und das Massaker von Tiananmen zum Thema machte.

Anders als sein Vater, der verfemte Dichter Ai Qing, lässt sich der Sohn nicht den Mund verbieten – bis sein Blog abgeschaltet wird. Es folgen 2011 die Verhaftung, nach der Freilassung 81 Tage später die permanente Überwachung, bis er schließlich seinen Pass erhält und ausreisen darf.

Die Botschaft dominiert das Werk

Ai Weiwei ist zu diesem Zeitpunkt im Ausland zur bekanntesten Figur des Widerstands gegen die Willkür des chinesischen Systems aufgestiegen – Regimekritiker und Künstler in einer Person. Das macht ihn attraktiv für das große Publikum und die Medien, seine Kunst allerdings auch angreifbar für die Kritik. Die Botschaft dominiert das Werk.

Die gewaltige Ausstellung in Düsseldorf beginnt mit frühesten Werken noch aus der New Yorker Studienzeit in den 80ern bis hin zu jüngsten Lego-Gemälden, die aus Andy Warhols Factory stammen könnten. Die europaweit größte Ausstellung trumpft auf mit Rieseninstallationen, etwa den 60 Millionen „Sonnenblumenkernen“, die Ai Weiwei in der Turbine Hall der Tate Modern in London vor neun Jahren ausstreuen ließ.

Um alle Werke fassen zu können, bespielt der Künstler beide Adressen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: das Stammhaus in der Altstadt, wo die Kunst des 20. Jahrhunderts logiert, und das ehemalige Ständehaus, dem Ort für das 21. Jahrhundert.

„Alles ist Kunst, alles ist Politik“ lautet Ai Weiweis Prinzip. Es dient der Ausstellung als Leitmotiv. Damit spitzt der Künstler zu, was zur Zeit auch auf der Biennale di Venezia mit Christoph Büchels Boot für Diskussionsstoff sorgt. Der Schweizer stellt das 2015 vor Lampedusa havarierte Flüchtlingsschiff als „Ready made“ aus und implantiert damit die brutale Realität ins mehr oder weniger heitere Schaulaufen durch Venedig. Darf man das? Ist das noch Kunst?

Nur noch Dekoration?

Ai Weiweis Düsseldorfer Schau zeigt, wie ein Künstler um Ausdrucksformen für das Elend der Welt ringt, wie sich im Exil sein Fokus hin zur Misere der Flüchtlinge verschoben hat, mit denen er sich solidarisiert. Dass er sich dabei gern selber inszeniert, wie bei der Nachstellung des am Badestrand von Lesbos angespülten toten Flüchtlingsjungen, wurde ihm schnell übel genommen.

Darf er das? Dass er sich in seinen Mitteln vergriff wie bei der Ausschmückung des Berliner Konzerthauses mit Rettungswesten für eine Filmgala, machte ihn suspekt.

Ist das nur noch Dekoration? Für Susanne Gaensheimer, seit zwei Jahren Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ist die Präsentation Ai Weiweis ein besonders wichtiges Projekt. Vor sechs Jahren holte sie ihn als Kommissarin des Deutschen Pavillons nach Venedig, wo er eine Pyramide aus chinesischen Schemeln baute.

Wer nun in ihrer Ausstellung nach diesen authentischen Spuren des alten China sucht, etwa seinen aus abgestorbenem Sumpfholz zusammengesteckten Bäumen – ein Exemplar stand lange Zeit im Kunstbunker von Christian Boros in Berlin –, wird enttäuscht.

Es ergreift einen nicht emotional

Der Künstler hat seine Ausstellung wie aus dem Baukasten komponiert. Im K 21 wird zusammengeschoben, was geht: Wandtapeten mit Tausenden Fotos bilden den Hintergrund. Sie sind bei Dreharbeiten in Flüchtlingslagern entstanden oder zeigen antikisch stilisierte mythologische Sujets, in die sich Motive aus den griechischen Zeltstädten mischen. Davor schiebt sich eine 17 Meter lange Barke aus Bambus und Sisalgarn, die einem jener Schlauchboote nachempfunden ist, die im Mittelmeer versanken.

Die Passagiere sind nur geisterhafte Schemen, ein Totenschiff, das jedoch weder formal überzeugt noch emotional ergreift. Im vollgepackten Ausstellungsparcours gleitet dieses Boot vorüber.

Auch die 40 Kleiderständer der Installation „Laundromat“ mit ihren über 2000 Kleidungsstücken, die Ai Weiwei beim aufgelösten „Auffanglager“ Idomeni einsammeln und reinigen ließ, besitzt nicht die Kraft eines Momentums. Der Effekt der Betroffenheit verpufft. Der Künstler lässt kaum Zeit zum Innehalten, zum Reflektieren, schon geht es weiter zum nächsten Skandalon.

Der Besucher als Voyeur

Die Kraft für seine Mission bezieht Ai Weiwei aus der eigenen Erfahrung, die er künstlerisch verarbeitet. In sechs minimalistischen Eisenkisten präsentiert er wie Kreuzwegstationen Szenen seiner 81-tägigen Gefangenschaft als Diorama. Der Besucher muss auf eine Stufe steigen, um das Setting von oben zu studieren, das Ai Weiwei in seiner kleinen Zelle bei der Verrichtung von Alltäglichkeiten zeigt – Schlafen, Essen, Toilettengang und Verhör. Dem Künstler war es nach der Entlassung verboten, über die Bedingungen seiner Haft zu sprechen, so übersetzte er sie ins Bild.

Zur größten Pein gehörte die 24-stündige Bewachung durch zwei Aufseher, die keinen Meter von ihm entfernt auf ihren Posten standen. Der Betrachter fühlt sich hier in die Rolle des Voyeurs gedrängt und ähnlich unangenehm berührt wie bei dem Foto des toten Flüchtlingsjungen, dessen Pose Ai Weiwei einnahm. Der Künstler als Stellvertreter, Auserwählter, ja Christusfigur – da geht man nur ungern mit.

Als wäre Heilung möglich

Sehr viel stärker, fokussierter, konzentrierter wirkt dagegen der Part im Haupthaus mit den „Sonnenblumenkernen“, die eine 650 Quadratmeter große Bodenfläche bedecken. Höhepunkt in Düsseldorf aber ist der Klee-Saal mit den 142 Transportkisten. In ihnen lagern jene viel zu dünnen Armierungsstreben der eingestürzten Schulen von Sichuan, die beim Erdbeben in kürzester Zeit nachgaben und den Tod Tausender Kinder verursachten.

Ai Weiwei ließ sie als künstlerischen Akt geradebiegen, ähnlich wie er die Kleider der Flüchtlinge von Idomeni einer Reinigung unterzog – als wäre Heilung möglich, die es doch nicht geben kann. Die Vergeblichkeit dieses Wunsches wird durch die Kisten evident, in denen die begradigten Stahlstangen wie in Särgen liegen. Durch die Reduktion der Mittel, die minimalistische Klarheit, gewinnt die Aussage Schlagkraft und überzeugt als künstlerisches Statement.

Fragen statt Antworten

Wie wenig Ai Weiwei selber weiß, wohin die Reise geht – ob mehr zur Kunst oder Rhetorik – veranschaulicht das Ausstellungsplakat. Auch hier schlüpft er in eine Rolle, diesmal des Hausheiligen Joseph Beuys. Ähnlich wie auf dem berühmten Plakat von 1971, das den Düsseldorfer Künstler entschlossen auf den Betrachter zu schreitend zeigt, dazu das handschriftliche Notat „La rivoluzione siamo Noi“, macht sich auch Ai Weiwei Arme schlenkernd auf den Weg. Statt der Behauptung wie bei Beuys steht bei ihm allerdings die Frage: „Wo ist die Revolution?“

Die Antwort bleibt er schuldig, auch mit seiner eigenen Ausstellung. Aber: Von einem Künstler eine eindeutige Antwort zu erwarten, wäre auch zu viel verlangt, egal wie stark er sich für eine Sache engagiert. Und die Frage nagt am Besucher: Wie verhält es sich mit Kunst und Politik, Werk und politischem Engagment?

In welchem Verhältnis steht die Selbstinszenierung dieses ausgeprägten Künstler-Egos zu seinem Enagegment, wenn er nicht nur für sein Werk wirbt, sondern mit der Flüchtlingsproblematik eines der brennendsten Themen unserer Zeit zu Sprache bringt?

Was Ai Weiwei mit Beuys verbindet, klärt die Ausstellung nicht. Nur vage sagt er, dass er mit dem deutschen Kollegen übereinstimme, was die „soziale Bewegung“ betrifft. Gut möglich, dass es wieder Zeit für einen Aufbruch ist. Wohin auch immer er führt. ( Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, bis 1. 9.; Katalog (Prestel Verlag) 32 €.)

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