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Höhere Gewalt. Ai Weiwei 2007 auf der Kasseler Documenta. Als seine Skulptur aus chinesischen Holztüren bei einem Sturm zusammenstürzte, fand der Künstler, das Unwetter mache sein Werk noch wertvoller.

© Imago

Ai Weiwei verhaftet: Kritik und Kotau

Keine 24 Stunden nach dem Abflug von Außenminister Westerwelle aus Peking wurde Ai Weiwei verhaftet. Was geschieht jetzt mit Chinas berühmtestem Künstler? In Peking tut Aufklärung Not.

Der Fall ist ernst. Ihn regiert ein Timing, das Stasi-Experten vermutlich als perfekt bezeichnen würden – das andererseits aber auch der Dramaturgie einer Schmierenkomödie entspricht.

So stand der neue Riesenairbus A380 der Lufthansa am Sonntagvormittag in Peking mit einer Schar deutscher Journalisten und Museumsleute an Bord gerade vor dem Abheben Richtung Frankfurt, als im benachbarten Terminal des Airports Chinas berühmtester Künstler Ai Weiwei und mehrere seiner Assistenten festgenommen wurden. Keine 24 Stunden vorher war erst Außenminister Guido Westerwelle aus Peking abgeflogen, nachdem er die deutsche Gemeinschaftsausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ im Chinesischen Nationalmuseum eröffnet hatte. Zusammen mit einer für die Kultur der Volksrepublik zuständigen Dame des Politbüros.

Natürlich sind Chinas Regierung und die Sicherheitsbehörden nicht so naiv zu glauben, man wäre mit ein paar ausländischen Kulturjournalisten und einem Westerwelle weniger im Land schon wieder unter sich. Ai Weiwei, der Star der letzten Kasseler Documenta und von den Ausstellungsmachern in aller Welt begehrter Raum-Inszenator, Skulpturist, Maler und Konzeptkünstler, gehört zu den mutigsten Artisten eines ansonsten so stark von Kommerzinteressen dominierten Weltkunstbetriebs. Als Auratiker und Aktivist könnte man ihn einen Joseph Beuys von heute nennen.

Wie Beuys ist Ai ein sozial-ökologisch engagierter Schamane – und in China, ob es um nationale Minderheiten oder den inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo geht, ein unbestechlicher Kämpfer für Freiheit und Menschenrechte. Erst in der vergangenen Woche hatte er in Gesprächen mit deutschen Medien seine Sorge wegen der verschärften innerchinesischen Restriktionen geäußert und „Die Kunst der Aufklärung“ am streng überwachten Platz des Himmlischen Friedens eine „ironische Veranstaltung“ genannt.

Die Aufklärungs-Ausstellung ist eröffnet - die Polizei schlägt zu

Man weiß im Augenblick nicht, was mit Ai passieren wird. Er selber wurde vor anderthalb Jahren schon einmal krankenhausreif geschlagen, die Sicherheitsbehörden haben seine Studios in Schanghai zerstört und ihn jetzt gehindert, von Peking nach Hongkong zu reisen, wo er gleichfalls eine Dependance besitzt. Unsicher ist auch, ob der Künstler zur Eröffnung seiner ab dem 29. April in Berlin von der Galerie Neugerriemenschneider geplanten Ausstellung und zu einem Vortrag beim Berliner „Gallery Weekend“ wird reisen können. Beobachter befürchten nun, dass Ai in Peking der Prozess gemacht wird.

Das Risiko eines negativen westlichen Medienechos nehmen die chinesischen Behörden kühl in Kauf. In China, soweit er dort über kleinere kulturell-intellektuelle Kreise und regimekritische Blogger hinaus überhaupt bekannt ist, versuchen sie Ai Weiwei das gleichsam antipatriotische Image eines nur für den Westexport arbeitenden Mannes anzuhaften, zumal seine Kunst im Inland sowieso nicht mehr gezeigt werden darf.

Durch das geschilderte Timing der Festnahme freilich führt man so zynisch wie selbstbewusst auch den Westen vor – und in diesem Fall besonders die Deutschen. Eben noch kriegen die ihren mit zehn Millionen Euro des Auswärtigen Amts selbst bezahlten Auftritt im wiedereröffneten Nationalmuseum; eben noch wurden die Ausstellung und ihre sie begleitende (begleiten sollende?) Diskussionsreihe „Aufklärung im Dialog“ als „Meilenstein“ der intensivierten gegenseitigen Beziehungen bezeichnet. In solchem Einklang präsentierten sich Westerwelle und die Museumsdirektoren aus Berlin, Dresden und München mit ihren chinesischen Kollegen, an erster Stelle mit der dem Kulturminister übergeordneten Politbüro-Staatsrätin Liu Yandong.

Deutsche suchen den Wandel durch Annäherung - und schweigen

Zumindest Frau Liu aber dürfte hinter ihren jovialen Worten und der lächelnden Fassade bereits gewusst haben, was die angebliche Achtung der Aufklärungs-Werte im Falle Ai Weiwei kaum 36 Stunden später bedeuten würde. Oder hatte Chinas Kulturherrin von der Festnahme, der Sperrung von Ais Website, der Beschlagnahme der Atelierräume, der Isolierung seiner Mitarbeiter und Familie doch nichts geahnt?

In Peking ist ja die Rede von einem schwer durchschaubaren Kompetenz- Streit innerhalb des riesigen, durch den Friedensnobelpreis, die jüngsten arabischen Volksaufstände und interne Machtkämpfe aufgerührten Sicherheitsapparats sowie einer Fraktion, die der wirtschaftlichen Öffnung auch mehr zivile Rechte folgen lassen möchte. Dies ist die Fraktion, die auf ein neues China-Bild in den Farben der kulturell attraktiven „Soft Power“ setzt.

Dass vor der Eröffnung der „Aufklärungs“-Schau ein in China ohnehin unbekannter und für die turbokapitalistische Supermacht gänzlich harmloser Intellektueller wie der Münchner Schriftsteller Tilman Spengler an der Einreise gehindert wurde, halten die Soft-Power-Befürworter offenbar für eine Fehlreaktion; genauso wie die Härte der elfjährigen Gefängnisstrafe für Liu Xiaobo. Doch auch diese größere Liberalität entspringt nicht nur reiner neuer Menschenliebe. Sondern dem Gefühl der Stärke.

Einer Stärke, der gerade eben wieder die deutschen Museums- und Ausstellungsmacher mit ihren fast durchwegs demütig beflissenen Auftritten in Peking gehuldigt haben. Alle wollen ankommen, im Geschäft sein mit einem Land, das den größten Wachstumsmarkt für alles bietet, für Luxuslimousinen, Hochgeschwindigkeitszüge, Atomkraft wie auch neue Energien, für Städtebauer und auch die Zukunftsspieler in hunderten gerade entstehenden neuen Museen, Theater, Opernhäuser, Kongresscenter. Der Westen ist die große Hure auf dieser Glitzerbühne der Hypermoderne, und China der potenteste Kunde.

Die von den deutschen Medien so kritisierten Herren der Staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München sagen dazu beschwörend und autosuggestiv: Es geht wie einst bei der DDR oder Sowjetunion um den „Wandel durch Annäherung“, und China wandle sich trotz Rückschlägen atemberaubend schnell. Doch diese Annäherung fällt schwer, im Moment. Gerade wurde ausländischen Korrespondenten in Peking verboten, chinesischen Besuchern der „Kunst der Aufklärung“ ohne polizeiliche Genehmigung überhaupt Fragen zu stellen. Also wird die Aufklärung hier zu einer schwierigen Kunst.

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