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Akademie-Ausstellung: Wie die Fotografie der Skulptur Beine machte

„Lens-based Sculpture“: Wie die Fotografie der Skulptur Beine machte. Eine Akademie-Ausstellung.

Marcel Broodthaers, der große Künstler- Poet, besaß immer auch einen Sinn für Humor. 1975, im Jahr vor seinem Tod, schuf er eine aus zwölf Fotografien bestehende Arbeit, die den Namen „Daguerres Suppe“ trägt. Der Titel bezieht sich auf einen der Fotografie-Erfinder des 19. Jahrhunderts, Louis Daguerre. Broodthaers bildete für seine Hommage einfach die Zutaten einer Suppe ab: Tomaten, Kohl, Möhren, Lauch und für ihn als Belgier jede Menge Fisch. In der Fotografie bleiben die Ingredienzen unverändert frisch, und doch wird ihre Vergänglichkeit offenbar.

Broodthaers „Suppe“ ist ein höchst charmantes Rezept, Bildlichkeit und Zeit bekömmlich und zugleich intelligent miteinander zu verschränken. Die Bildhauer Bogomir Ecker, Raimund Kummer sowied die beiden Kunsthistoriker Herbert Molderings und Friedemann Malsch haben diese Anleitung befolgt und ihre eigene Suppe gekocht: die Ausstellung „Lens-based Sculpture“, zubereitet in der Akademie der Künste. Broodthaers’ hinreißendes Fototableau befindet sich am Ende des Parcours, als letzter Happen eines Festmahls für die Sinne – und zur Sättigung des intellektuellen Appetits. Auf dem Speisezettel steht diesmal die Verschränkung von Skulptur und Fotografie und wie die Lichtbildkunst die Bildhauerei im 20. Jahrhundert revolutionierte.

Sechs Jahre lang hat das Kuratoren- Trio recherchiert, probiert. Ausgangspunkt war die eigene künstlerische Praxis der beiden Akademie-Mitglieder Ecker und Kummer, in deren Werk Fotografie eine große Rolle spielt. Als Hochschulprofessoren erleben sie zugleich, dass zum Instrumentarium des Bildhauernachwuchs wie selbstverständlich die Kamera gehört. Ihre Ausstellung ist einerseits Selbstbefragung, andererseits offenbar die Erfüllung eines geheimen Wunschzettels jeweiliger Lieblingskünstler, also ein Luxus-Projekt – wäre die Präsentation nicht so überzeugend.

Selten hat man die schwierigen Säle der Akademie so grandios bespielt gesehen. Hier erweist sich das Gespür zweier Bildhauer für Raum und Proportion. Die vom Essener Folkwang-Museum übernommene Ausstellungsarchitektur, mit der die beiden Künstler schon länger operieren, wurde versatzstückhaft implementiert und bildet nun die Partitur des Stücks, das sie mit verschiedenen Akteuren aufführen: ein gewagtes, ein gelungenes Spiel. Die Wiederbegegnung mit so vielen alten Bekannten der jüngeren Kunstgeschichte – Gordon Matta-Clark, Bruce Nauman, Giovanni Anselmo, Alan Kaprow, Joan Jonas, Hans Bellmer, Valie Export, Joseph Beuys – unter diesem besonderen thematischen Aspekt bereitet so viel Vergnügen, dass die Selbstbespiegelungen der beiden Macher entschuldigt sind.

„Lens-based Sculpture“ bietet jedoch mehr als eine ästhetische Jonglage mit großen Namen und besonderen Leihgaben. Die Ausstellung versucht Neuland zu betreten. Waren bisherige Ausstellungen zum Thema auf die reproduktive Funktion des Mediums Fotografie für die Skulptur beschränkt, geht es nun um deren konstitutive Kraft. Herbert Molderings weist nach, dass auch hier Marcel Duchamp der Geburtshelfer war, im Urknall-Jahr 1913. Sein auf einen Hocker montiertes Fahrradrad brachte erstmals das Element der Bewegung in die Skulptur. War sie bei den futuristischen Bildhauern noch verfestigt wiedergegeben in Form dynamischer Silhouetten, etwa bei einer laufenden Figur oder einer sich drehenden Flasche von Umberto Boccioni, so dreht sich bei Duchamp die Felge ganz real. Den Impuls empfingen sowohl die Futuristen als auch Duchamp durch die Chronofotografie, die erstmals den sukzessiven Bewegungsablauf festhielt.

Nach diesem kunsthistorischen Präludium betritt der Besucher den großen Saal durch ein Remake von Duchamps „Gradiva“-Tür, die er 1937 als Entree für André Bretons Pariser Galerie schuf. Die Türöffnung besteht aus dem Schattenriss eines Liebespaares, ein symbolischer Akt des Übergangs aus dem Dunkel ins Licht, der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft – lauter Umschreibungen für Fotografie. Dem Besucher öffnet sich zugleich das Panorama aller Möglichkeiten: Lichtspiele von Moholy-Nagy und Brancusi, Performances von Nauman und Rebecca Horn, Abdrücke und Moulagen von Sabine Groß und Giovanni Anselmo, Rückholungen in die Dreidimensionalität vom Foto bei Martin Honert und Hermann Pitz, lebensnahe Reproduktionen der menschlichen Figur bei Ron Mueck und Duane Hanson, skulpturale Faltungen des Schattenwurfs bei Klingelhöller. Dazu skulpturale Aktionen von Roman Signer, dessen Kunst im Moment der Explosion besteht, oder von Gilbert & George, die als goldüberzogenes Duett auftreten.

Wäre nicht jede Zutat exquisit bei dieser Bouillabaisse, dem Besucher platzte schier der Magen. Wie schwer dem Kuratorentrio die Auswahl fiel, zeigt sich an den beiden Kabinetten, sogenannten synoptischen Bauten, die Ecker und Kummer in die Ausstellung integriert haben. Hunderte Fotografien, Videos, Bücher sind darin präsentiert, Werke, die „nur mit Schmerzen“ (Kummer) weggelassen wurden. Die beiden Exkurse lesen sich mindestens so interessant wie die als Essay deklarierte Ausstellung, so dass man sich schon ein weiteres Festmahl wünscht. Nur wäre das Menü zu präzisieren: Die Leibspeise allein zu nennen, reicht dann nicht mehr. Nicola Kuhn

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 21. 4.; Di bis So 11–19 Uhr.

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