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Akademie der Künste: Zwergzeugen

Die Künstlerin Ulrike Grossarth erhält den Käthe-Kollwitz-Preis. Für eine ihrer Arbeiten, die derzeit in der Akademie der Künste zu sehen sind, hat sie Zwerge in Gips geformt, die an einer Straße im Ghetto von Warschau standen.

Der Mantel, der abgelegte Mantel, ist für die Künstlerin Ulrike Grossarth ein materielles Überbleibsel von flüchtigen Erinnerungen. Immer wieder taucht er in ihrer Ausstellung „Szeroka 28“ in der Akademie der Künste auf, ob gezeichnet oder genäht. Gestern wurde Ulrike Grossarth in der Akademie mit dem Käthe-Kollwitz-Preis geehrt, einer mit 12 000 Euro dotierten Auszeichnung.

Ihre Kunst ist ein „Einräumen von Zeit“, wie Juror Hubertus von Amelunxen beschrieb. Ulrike Grossarth, 1952 geboren, lehrt an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Ihre Arbeiten waren unter anderem auf der Documenta X in Kassel und 2005 im Hamburger Bahnhof zu sehen. Mit dem Titel der aktuellen Ausstellung (bis 18. Oktober, Hanseatenweg 10) holt sie Vergangenes aus der Fremde ins Hier und Jetzt: „Szeroka 28“ lautete die Adresse des Sehers von Lublin, des polnischen Rabbi Yaakov Yitzchak. Das Haus wurde 1942 von der SS zerstört. Übrig blieb nur eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Ulrike Grossarth stieß auf diese und andere Zeitdokumente des Fotografen Stefan Kielsznia, die das jüdische Leben in Lublin überliefern. Für Grossarth waren sie Ausgangspunkt neuer künstlerischer Überlegungen – einer Kunst, die in einem ganz eigenen Sinne abstrakt ist. Denn sie fragt danach, wie Abstraktes abgebildet werden kann. So hat die Künstlerin Zwerge in Gips abgeformt, die an einer Straße im Ghetto von Warschau standen. An den Skulpturen zogen Menschen, Pferdekutschen, Autos vorbei. Im Ausstellungsraum sind die Zwerge Statthalter für den Lauf der Geschichte. Sie sind wie der abgelegte Mantel Sinnbilder. Grossarth verwebt diese Motive mit Abbildungen aus der Iconologia von Cesare Ripa, eine populäre Bildersammlung von Allegorien Anfang des 17. Jahrhunderts. An die Wand projiziert sie außerdem Darstellungen aus der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts versucht hatten, systematisch das menschliche Wissen vor dem Vergessen zu bewahren. Bei Grossarth überlagern sich die einzelnen Motive wie Schichten einer verschütteten Erinnerung. Anna Pataczek

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