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Aktionskünstler LJ Keijser: Kompliment vom Hausmeister

Der Berliner Aktionskünstler Lukas Julius Keijser verkauft Pommes und Pillen – als Drucke. Jetzt hat er in Kreuzberg einen temporären Sexshop aufgemacht.

„Auf Kunst muss man laufen können“, sagt Lukas Julius Keijser und latscht mit seinen Turnschuhen über die bunten Siebdrucke, die auf dem Boden seines Friedrichshainer Ateliers verstreut liegen, als handele es sich um Wegwerfprodukte. Der Raum ist vollgestopft mit Pappschildern, T-Shirts, gerahmten Siebdrucken, mit Reißzwecken an die Wand gepinnten Bildern. Schwarz-weiß oder bunt, penibel gedruckt oder scheinbar wahllos mit Farbe getränkt. Keijser ist Grenzgänger, balancierend auf dem schmalen Grat zwischen Trash und Kunst.

Der 1973 geborene Niederländer ist genau wie dieses Zimmer: ruhelos, dynamisch, immer auf der Suche nach etwas Neuem. Zuletzt versetzte er am „Königinnentag“ die Gäste der niederländischen Botschaft in Staunen. Keijser baute dort einen Stand auf, stand hinter der Theke. „Tulpen uit Amsterdam“ – „Tulpen aus Amsterdam“ verkünden die roten Buchstaben auf den Kartonrückseiten, die Keijser als Druckfläche verwendet. Blumen kann man bei ihm an diesem Tag tatsächlich kaufen – wenn auch die der zweidimensionalen Art. Zu handelsüblichen Preisen verkauft Keijser gedruckte Tulpensträuße: rote, blaue, weiße, ein Strauß für sieben Euro. „Ich habe alle Rudi-Carrell- und Holzschuh-Witze gehört. Mit diesen Klischees muss man spielen! Ich hatte gar keine andere Wahl, als einen Blumenshop zu machen“, sagt er lachend.

Das Gesicht beim Orgasmus

Keijsers neueste Aktion, „Sexshop 2.0“, dreht sich ganz um Menschen, die ihr Intimstes ins Internet stellen. Allerdings erwarten den Betrachter hier nicht nur Genitalien. Vielmehr hat Keijser Gesichter auf große Stoffbahnen gedruckt, die er wie Fahnen in seinem Laden in der Schlesischen Straße aufhängen will. „Diese Menschen zeigen beim Orgasmus ihr Gesicht und machen so etwas unglaublich Privates öffentlich“, erklärt er. Andere Arbeiten thematisieren Pornografie, Online-Dating, Sextreffen und erotische Vorlieben in Zusammenhang mit dem Internet und neuen Kommunikations- und Selbstdarstellungsformen, die durch das Internet entstanden sind. So werden etwa die Slogans von Dating-Websites als Kioskanschläge draußen stehen, der Boden des Ausstellungsraums wird mit gedruckten Emoticons ausgelegt. Und die blauen Viagra-Pillen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Was Keijser gleich zur nächsten Idee führt: Im Sommer würde er gern im Görlitzer Park Drogen verkaufen. Gedruckte, versteht sich. Am Nordseestrand von Burgh-Hamsteede bietet er im Juli Eis an, und eigentlich würde er auf dem Kunstmarkt auf der Oberbaumbrücke gern noch in diesem Sommer eine Aktion machen. Dann würde er Ausschnitte der teuersten Gemälde der Welt drucken, „ganz trashig, schrottig.“ Was 120 Millionen kostet, wäre dann bei ihm für zwölf Euro zu haben.

Weg vom Szenepublikum

Muss Kunst teuer sein? Bei Keijser nicht. Allerdings muss auch er von seiner Arbeit leben können – für aufwendigere Drucke nimmt er mehr als für die Tulpen. Trotzdem sind viele der Leute, die regelmäßig zu seinen Aktionen kommen, keine typischen Sammler. Keijser will weg vom üblichen Kunstszene-Publikum und auch Menschen erreichen, die eine Galerie wohl eher nicht betreten würden. „Klar ist es toll, wenn der Professor dir ein Kompliment macht, aber eines vom Hausmeister bedeutet mir mehr“, sagt er. Zwar war auch die Gesellschaft am Königinnentag in der Botschaft eine geschlossene, aber auch hier hat er Menschen erreicht: Der afghanische Botschafter kaufte ihm einen Tulpenstrauß ab.

Er wollte weg von Pim Fortuyn

Sloganizer. Lukas Julius Keijser in seinem Friedrichshainer Atelier, mit einer bunten Auswahl seiner Werke.
Sloganizer. Lukas Julius Keijser in seinem Friedrichshainer Atelier, mit einer bunten Auswahl seiner Werke.

© Georg Moritz

Viel spannender sind für Keijser allerdings die Besucher seines Shops. Der Bauarbeiter etwa, der Blumen für seine Freundin kaufen will – und dann perplex vor den Kartons steht, die Keijser im Müll gefunden und mit Blüten bedruckt hat. „Die meisten Leute sind verwirrt“, sagt der Künstler und grinst. Was auch daran liegen mag, dass Keijser nichts tut, um sich oder seine Kunst zu erklären. Er spielt vielmehr die Rolle des Blumenverkäufers mit Genuss.

Die Ideen für seine Aktionen bezieht er aus seinem unmittelbaren Umfeld, auch aus dem Internet. „Kunst ist für mich Kommunikation, das hat mich immer schon sehr interessiert.“ Angefangen hat alles, als Keijser 2004 seinen Job beim NRC Handelsblad kündigte und in Amsterdam Kunst studierte. „Ich habe im Journalismus das Kreative vermisst“, sagt er. Allerdings hält er es in Amsterdam nicht lange aus. Zu eng scheint ihm die Stadt, das Universitätsleben, die politische Situation nach der Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh im selben Jahr. Auch der damals aufstrebende Rechte Pim Fortuyn bereitet ihm Sorgen. „Ich habe mich mit allen zerstritten, ich wollte weg“, sagt er, „also habe ich mein Zeug zusammengepackt und bin nach Berlin gefahren.“ Er will an der Universität der Künste studieren, merkt aber schnell, dass die Universitätsmentalität in Berlin eine andere ist als in Amsterdam. Hier schafft es nicht jeder an die Uni. „Ich war auch noch drei Wochen nach Anmeldeschluss da – also viel zu spät“, sagt Keijser, wirft die Arme hoch und lacht.

Bratwurst gefällig? Der Druck kostet 1,50 Euro

Im darauffolgenden Jahr wird er schließlich angenommen. Aus seiner Zeit an der UdK stammt die Idee seiner Siebdruckaktionen. In dem Zimmer, in dem die Putzfrauen ihre Putzmittel abstellen, darf er sich einrichten. Und druckt, während gegenüber ein Bierfest eröffnet, zum Thema „Imbiss“: Bier, Pommes, Bratwurst, zu den üblichen Preisen.

„Mir geht es immer um die Grenze: Was ist Kunst – und was ist keine mehr?“ Keijser, das Multitalent, hat alles schon gemacht: Musik, Fotografie, Kostüme. Er bedruckte T-Shirts mit Problem- und Lösungsslogans und ließ zwei Fußballmannschaften darin gegeneinander antreten (die Probleme haben gewonnen). Eine Zeile aus seinem wütenden Lied über einen Amsterdamer Professor, „I’m not superficial, I like penetration“, kursiert inzwischen weltweit auf Dating-Websites.

Lukas Julius Keijsers Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Wie eben die Idee mit den gedruckten Drogen: „Die würde ich gerne im Berghain verkaufen. Aber da hängt ja schon Kunst.“ Aber ein Rastloser wie Keijser findet garantiert auch einen anderen Umschlagplatz für seine Kunst.

„Sexshop 2.0.“, bis 28. Mai, täglich 14 - 19.30 Uhr, Schlesische Str. 19, Kreuzberg

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