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Kultur: Aktive Sterbehilfe: Die Ersten in Europa - In den Niederlanden wird seit den Sechzigern debattiert

Das Urteil löste nicht nur in den Niederlanden Empörung und heftige Diskussionen aus: Ende Oktober hatte ein Haarlemer Gericht einen Arzt freigesprochen, der 1998 einem 86-jährigen gesunden, aber lebensmüden Mann bei der Selbsttötung geholfen hatte. Erstmals wurde damit auch der einfache Todeswunsch eines Patienten gerichtlich akzeptiert, der nicht an aussichtslosen körperlichen oder psychischen Krankheiten litt.

Das Urteil löste nicht nur in den Niederlanden Empörung und heftige Diskussionen aus: Ende Oktober hatte ein Haarlemer Gericht einen Arzt freigesprochen, der 1998 einem 86-jährigen gesunden, aber lebensmüden Mann bei der Selbsttötung geholfen hatte. Erstmals wurde damit auch der einfache Todeswunsch eines Patienten gerichtlich akzeptiert, der nicht an aussichtslosen körperlichen oder psychischen Krankheiten litt.

Das Urteil war Wasser auf die Mühlen derer, die in der niederländischen Gesetzgebung zur Sterbehilfe einen Kulturbruch und einen Abschied vom christlichen Tötungsverbot sehen. Doch von in- und ausländischen Protesten ließ sich das niederländische Parlament bislang nicht abschrecken. Im November verabschiedete die Zweite Kammer eine Regelung zur Sterbehilfe, die als weltweit weitestgehende Euthanasie-Regelung gilt und die aktive Sterbehilfe nicht mehr unter Strafe stellt. Am Dienstag wollte die Erste Kammer endgültig entscheiden. Auch dabei war eine große Mehrheit für das Gesetz wahrscheinlich.

Große Mehrheiten

Schon seit den 60er Jahren gelten die Niederlande als Vorreiter bei einer Entkriminalisierung der Euthanasie in Europa. Im Nachbarland sterben nach Untersuchungen jährlich rund 4.000 Menschen durch aktive Sterbehilfe, rund 1.000 davon ohne eigene Einwilligung. Bereits seit 1994 wurde aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen toleriert, war allerdings weiterhin strafrechtlich verboten. Um straffrei zu bleiben, mussten bestimmte Verfahren eingehalten werden: So dürfen Ärzte nur Sterbehilfe an Patienten leisten, wenn ihr Zustand aussichtslos ist, sie an unerträglichen Schmerzen leiden und mehrfach um Euthanasie gebeten haben. All dies gilt auch weiterhin.

Entscheidend ist, dass sich laut neuem Gesetz der Staat aus der Sache herauszieht: Bislang musste der Arzt die Sterbehilfe auch dem Leichenbeschauer und dem Staatsanwalt melden, der bei Zweifeln an der Sorgfaltspflicht ein Ermittlungsverfahren einleiten konnte.

Künftig müssen Ärzte Euthanasiefälle nur noch an die dafür eingerichteten Kommissionen melden. Nach der lange umstrittenen Regelung soll auch der Todeswunsch von Demenzkranken, die noch bei vollem Bewusstsein eine Euthanasie-Erklärung unterzeichnet haben, akzeptiert werden - auch wenn sie zum Zeitpunkt der eigentlichen Sterbehilfe nicht mehr ansprechbar sind. Ursprünglich sollte Sterbehilfe auch für Kinder zwischen zwölf und 16 Jahren möglich werden - ohne Zustimmung der Eltern sogar. Letztere Regelung hat jedoch breiten gesellschaftlichen Widerstand mobilisiert: Anfang Juli zog der sozialdemokratische Ministerpräsident Wim Kok diese Regelung zurück.

Die Diskussion über das Gesetz hat gezeigt, dass aktive und passive Sterbehilfe mittlerweile von weiten Kreisen der niederländischen Bevölkerung als normales medizinisches Handeln betrachtet werden. Darauf verweisen zahlreiche Umfragen, die große Mehrheiten für Sterbehilfe und Tod auf Verlangen aufweisen. Darauf hatte auch Jaap Visser vom Gesundheitsministerium in Den Haag verwiesen. Ziel der Regierung sei es, das Strafrecht in Einklang mit der herrschenden Praxis zu bringen und den Ärzten Rechtssicherheit zu gewährleisten. Nur so könne die Dunkelziffer der Fälle gesenkt und die Kontrolle erhöht werden.

Christoph Arens

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