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Er führt, sie folgt: Die Choreografie "La salle" von Toula Limnaios.

© Dieter Hartwig

Aktuelle Tanzkritik: Toula Limnaios: Auf schlüpfrigem Parkett

Ein Paar im Clinch, zu wunderbar nostalgischer Musik: „La salle“ von der Choreografin Toula Limnaios in der Halle Tanzbühne in Prenzlauer Berg

Von Sandra Luzina

Wie man aus der Not eine Tugend macht, zeigt die Choreografin Toula Limnaios. Da sich die Sanierung der Halle Tanzbühne in Prenzlauer Berg verzögert, hat sie sich entschlossen, die frühere Turnhalle in einen Ballsaal zu verwandeln. In „La salle" kreuzen sich die Leidenschaften in einem herrlich morbiden Tanzschuppen. Die Zuschauer sitzen an allen vier Seiten der Bühne, die von vier Kronleuchtern erhellt wird. Die acht Tänzer in Abendrobe lassen an ein Turnier denken – auch Erinnerungen an manche Tanzstundenschmach werden wach.

Die Musik ist wunderbar nostalgisch: Nach einer Samba und einem Chanson von Jacques Brel singt Nat King Cole sein berühmtes „Quizás“. Bei Toula Limnaios sieht man nun nicht nur Schmachten, Schieben und Wiegen. Die Figuren werden alle von einer unstillbaren Sehnsucht getrieben, und so verrutschen bald die einstudierten Posen, entgleisen die kalkulierten Anbahnungsversuche.

Statt des erotischen Verschmelzens zweier Körper sieht man in "La salle" Drill und Manipulation

Toula Limnaios verdeutlicht, dass sich die Tanzenden auf einem gesellschaftlichen Parkett bewegen. Im Ballhaus werden auch Männer- und Frauenrollen erprobt. Schon bei der Wahl des Partners versteifen sich die Körper. Die erstarrten Frauen werden von dem resoluten Adilso Machado wie Schaufensterpuppen herumgetragen, die Männer ihnen zugeteilt. Bei den hölzernen Tänzen zu Beginn scheinen alle peinlich darauf bedacht zu sein, sich zu bekommen. Daniel Afonso und Giacomo Corvaia sind dann aber prima Gigolos und umgarnen die Damen mit glutäugigem Eintänzer-Charme, während Hinori Sugata sich auf putzige Weise um den feurigen Lover bemüht. Katja Scholz als Granate hat etwas leicht Verzweifeltes.

Die Männer führen, die Frauen folgen. In „La salle“ sieht man statt des erotischen Verschmelzens zweier Körper Drill und Manipulation. Karolina Wyrwal und Inhee Yu werden von ihren Partnern auf ruppige Weise gelenkt und verbogen. Yu wird schon mal rabiat über den Boden geschleift und steht doch immer wieder auf. Die zierliche Limnaios wird wie ein Ball in die Luft geworfen.

Sehr lustig ist es, wenn Toula Limnaios und Hinori Sugata einen Engtanz proben und ihr Kinn auf seine Brust rutscht – und tiefer. In einer Szene tanzen nur Männer als Paare und wiegen sich in Tango-Schritten. Ab und an sieht man eine Frau mit ausgebreiteten Armen allein tanzen, als wolle sie eine schmerzliche Erinnerung umarmen. Pein und Peinlichkeit gehen Hand in Hand. Und immer wieder entladen sich emotionale Ausbrüche.

Mit viel Witz und Rafinesse zerlegt die Choreografin die Paar-Figurationen des Gesellschaftstanzes und bringt den Schmerz und das Verlangen unter der heiteren Oberfläche zum Vorschein. „La salle“ ist ein doppeltes Vergnügen, denn hier kann man Toula Limnaios einmal selber eine Rumba tanzen sehen.
Halle Tanzbühne, 17., 21. - 24. und 28. - 31.5., jeweils 21 Uhr

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