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Alexander Granach mit Heinrich George im Hof der Berliner Volksbühne.

© Zorro Filmverleih

Alaxander Granach: Spiel um dein Leben

Der Schauspieler Alexander Granach war ein Star der Weimarer Republik. Jetzt wird er in dem Dokumentarfilm "Da geht ein Mensch" wiederentdeckt.

Der Mensch, um den es hier geht, geht nicht, er stürmt durchs Leben, durch seine Karriere, die Welt. Mit so vielen Höhen und Tiefen, dass es auch für ein halbes Dutzend Biografien gereicht hätte. Sie wären alle außer Atem geraten. „Man verfällt ihm sofort, dem Schauspieler, dem Schriftsteller, dem Briefeschreiber, dem Menschen Alexander Granach“, heißt es in Angelika Wittlichs Dokumentarfilm über den Star der Weimarer Republik, und genauso geht es dem Zuschauer.

Alexander Granach wurde 1890 in Galizien geboren, dem Armenhaus der österreichisch-ungarischen Monarchie, zeit seines Lebens fühlt er sich als Sonntagskind. Seiner Geliebten, der Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven, schreibt er aus diversen Exilen in Polen, der Sowjetunion und Amerika über 300 Liebesbriefe und ist daneben ein „Frauenfänger“, noch dazu einer, der sich einer grausamen Schönheitsoperation unterzieht. Aus Eitelkeit lässt er sich die Beine brechen, um sie zu begradigen – ein medizinisch höchst riskantes Unternehmen, dessen Schilderung einem noch heute kalte Schauer über den Rücken jagt. Auf die Frage, was er getan hätte, wenn’s schiefgegangen wäre, zieht er einen Revolver unter dem Kopfkissen hervor.

Mit 14 verfällt Granach dem jiddischen Theater in Lwiw/Lemberg, mit 16 brennt er nach Berlin durch: „Ich kam nicht in eine Stadt – eine Stadt kam über mich.“ Er kam auch nicht zur Bühne, er schlug dort ein, als der Wildeste in der Ära des Expressionismus, der die Urgewalt seiner „ostjüdischen Energie“ auf die Bretter bringt. Er spricht fünf Sprachen, und als für eine Rolle im Radio gebrochenes Englisch verlangt wird, bietet er sich als „der beste EnglischSchlecht-Sprecher der Welt“ an. 1935 wird er ans Theater nach Moskau eingeladen, zwei Jahre später in Kiew als Spion verhaftet. Er landet in demselben Gefängnis wie 70 Jahre später Julia Timoschenko, kommt wieder frei, William Dieterle holt ihn nach Hollywood.

Dort spielt er in „Ninotschka“ mit Greta Garbo und gibt Ernst Lubitsch Tipps, wie es zuging in der Sowjetunion. Er übersteht zwei Weltkriege und stirbt 1945 an einer Blinddarmentzündung, im Nachruf einer New Yorker Zeitung heißt es : „Er kam aus einem verlassenen Dörfchen Polens, wo jüdisches Leben breit und trächtig sich zwischen Himmel und Erde entfaltete und aus beidem seine ewige Erneuerung zog. Überall spielte er Menschen des Aufruhrs gegen die große Ungerechtigkeit, war ein Meister der Sprachen, des Deutschen, Ukrainischen, Russischen, Polnischen, Jiddischen, ein Zentrum schöpferischer Kraft, die rings um sich andere schöpferische Kräfte entzündete.“

Man verfällt ihm sofort: Unentwegt möchte man zitieren aus „Alexander Granach – Da geht ein Mensch“, von A bis Z, vom ersten bis zum letzten Bild. Zu Wort kommen Historiker, Deutschlehrer, Archivare, einer seiner Schauspielschüler, alte Bäuerinnen, die als Kinder bei seinem Bruder die Bohnen sortiert haben, dazu Samuel Finzi, der so authentisch aus Granachs Briefen liest, dass man meint, den Autor selbst zu vernehmen, Juliane Köhler, die in der schwierigen „Rolle“ als Lotte Lieven meist nur schmerzlich ins Weite gucken kann – und vor allem Gnad Granach, der Sohn. Die Erinnerung an den „Herrn Papa“, den er mit 18 zum letzten Mal gesehen hat, ist ihm eingebrannt und etwas von seinem Talent hat er geerbt. In wenigen Versen aus „Faust“ und „Der Kaufmann von Venedig“ verdeutlicht er die verschiedenen Interpretationen von Mephisto und Shylock durch Alexander Granach, Gustaf Gründgens und Werner Krauss – ein wahres Kabinettstück.

Intensive Spurensuche, beeindruckendes, liebevolles Porträt, kulturgeschichtliches Zeugnis: Angelika Wittlich fungiert bei der 105-minütigen Dokumentation auch als Autorin, Koproduzentin und Aufnahmeleiterin. Im früheren Leben hat sie für „Emma“, in der Filmredaktion des WDR und beim Bayrischen Fernsehen gearbeitet: Ihr Film zeigt: Sie ist auch eine hervorragende Filmregisseurin.

In Berlin im Babylon Mitte

Helmut Merker

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