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Album der Woche: Ab in die Mitte

Wenn der kleine Bruder den größeren Pop macht: Fritz Kalkbrenners „Sick Travellin“.

Wenn unter Brüdern Rivalitäten auftreten, wird der Ältere nicht selten unangenehm mit dem Ehrgeiz des Jüngeren konfrontiert. Ob das auch bei den 1977 und 1981 geborenen Gebrüdern Kalkbrenner so ist? Das neue, „Sick Travellin“ betitelte Album von Fritz Kalkbrenner (erschienen bei Suol Music) klingt jedenfalls, als wolle er dem Älteren im Ressort Pop-Techno den Rang ablaufen und eine Art Fortsetzung von Pauls „Berlin Calling“ vorlegen. Mit dem 2009 veröffentlichten Album zum gleichnamigen Film über die Krisen eines Berliner DJs hatte Paul Kalkbrenner sich neue Hörerschichten erschlossen: popaffine, etwas ältere Menschen, die nicht mehr in House- und Techno-Clubs gehen, ein eher bürgerliches Publikum, das es sich mit Musik von Adele, Lena, Robbie Williams oder Arcade Fire gemütlich macht. Mit von der Partie war auch Fritz, der das Album koproduzierte und die Gesangsparts zu dessen erfolgreichstem Track beisteuerte, „Sky and Sand“.

Anders als Paul kann Fritz tatsächlich singen, er hat eine markante, wohltemperierte Soulstimme. Diese kommt jetzt noch öfter zum Einsatz als auf seinem Debütalbum von 2010. Das erhöht den PopAppeal von „Sick Travellin“, zeigt aber auch die Grenzen von Fritz’ Gesang auf. Von einer Vielfalt im Ausdruck kann nicht die Rede sein, im zweiten Teil hat man oft den Eindruck, versehentlich die Repeat-Taste betätigt zu haben. Das Album basiert auf House- und Techno-Beats, es ist noch immer ein Produzentenwerk, nicht das eines Singers und Songwriters. Trotzdem besticht es durch organische, von Soul, Funk und Hip-Hop beeinflusste Sounds, durch weiche Übergänge, durch Parts, die mit Live-Instrumenten im Studio eingespielt wurden. Mit „Hummin’ Hills“ und „By Any Means“ gibt es auch zwei kräftigere, tiefere Techno-Tracks. Insgesamt ist „Sick Travellin“ aber ein pop-orientiertes Hitalbum, das jeden Coffeeshop und jede Lounge beschallen dürfte. „Berlin Calling“ und Middle-OfThe-Road-Techno, die Zweite? Ist Fritz der neue Paul? In Interviews sagt Fritz Kalkbrenner, er und sein Bruder hätten einander „synergetisch geprägt“. Mag ja sein. Wie es um den Konkurrenzkampf bestellt ist, kann man Ende November hören, wenn Paul Kalkbrenners Album „Guten Tag“ erscheint. Es heißt, darauf soll es wieder härter zugehen. Gerrit Bartels

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