zum Hauptinhalt

Album: Die Coolness der Arbeiterklasse

Soul statt Schlager: Der englische Crooner Tony Christie feiert mit „Now’s The Time“ ein elegantes Comeback. Eine Begegnung mit dem Gentleman aus Sheffield

Vor drei Jahren fasste Tony Christie einen Entschluss: nie wieder färben. Er ließ sich das braune Haar radikal kurz schneiden und wartete geduldig, bis auch der letzte Rest Tönung herausgewachsen war. Der Erfolg gab ihm Recht, besonders den Damen gefiel der neue, weißhaarige Tony Christie. Es blieb gleichwohl eine mutige Entscheidung des heute 67-jährigen Sängers. Denn seine Plattenfirma war strikt gegen den Typwechsel. In diesem Gewerbe überlebst du nur, lautete ihre Devise, wenn du auf jung getrimmt bist.

Christies neues Album heißt „Now’s The Time!“ Wann, wenn nicht jetzt. Mitten hinein in die aktuelle Retro-Welle setzt er dem Sound der Sixties ein Denkmal. Northern Soul und British Beat geben den Ton an, die hohe Schule von Motown mischt sich mit üppig orchestriertem Loungepop. Und nicht nur Gastsängerin Roisin Murphy steht für den vitalen Kontakt zur Neuzeit. Bisher kannte man Tony Christie vor allem als aalglatten Typ aus Schlagersendungen, der im Halbplayback bierselige Mitklatschsongs wie „Is This The Way To Amarillo“ und „I Did What I Did For Maria“ im flotten Medley aufs Parkett legt und der sich zwischen Tony Marschall und DJ Ötzi zu Hause fühlt.

„Ich bin Sänger“, sagt er. „Das ist mein Job. Ich singe jeden Song, den sie mir vorlegen, so gut wie ich kann.“ Beim Gespräch in einem Büro in Berlin-Mitte wirkt der Lady’s Man kultiviert und zurückhaltend. Im maßgeschneiderten Anzug – sein Markenzeichen seit vierzig Jahren – ist er von Kopf bis Fuß ein höflicher Gentleman. Als sein Stern nach Erfolgen in den frühen Siebzigern zu verblassen begann, als das Aufkommen von Punk ihm und Crooner-Kollegen wie Engelbert und Tony Bennett schwer zusetzte, legte ihm keiner so erfolgversprechende Songs vor wie der deutsche Schlagerproduzent Jack White, der schon Roberto Blanco, Laura Branigan und David Hasselhoff entdeckt hatte. Vier Alben produzierten sie gemeinsam, platingekrönt, die Karriere von Tony Christie nahm eine neue Wendung, sein Publikum fand er nun in Deutschland, Österreich, Schweiz, Holland und Belgien. Im Mutterland des Pop, in England, hatte er keine Chance.

Früher träumte Tony Christie davon, einer wie Frank Sinatra zu werden. Mit einer Big Band im Rücken die Welt erobern. Aber er blieb ganz bodenständig dort, wo er der König des Ballrooms war. Wo im Sternenregen der rotierenden Discokugel aufgehübschte Hausfrauen zu seinen Gute-Laune-Songs tanzten und ihre Lebensträume unter zu viel Schminke und mit zu viel Alkohol zu Grabe trugen. Echte Gefühle und traurige Balladen findet man von ihm erst auf dem 2008 erschienenen Album „Made In Sheffield“. Seine Version des Human-League-Stücks „Louise“ ist besser als das Original.

Dass mit seiner Karriere etwas nicht stimmt, war Christie bereits 1999 bewusst geworden. Damals sprang er, völlig unerwartet mit einem Projekt namens „The All Seeing I“ in die Top Ten der englischen Charts. Über ein Vierteljahrhundert lang war ihm das nicht mehr vergönnt gewesen. „Walk Like A Panther“ hieß der Song, und mit Staunen vernahm der Sänger, dass seine Art zu singen, sein hoch angelegter Tenor und sein eleganter Stil nachhaltigen Eindruck auf die junge, aktuelle Popelite gemacht hatte. Er, der ewig nur als Sheffields Antwort auf Tom Jones gegolten hatte, hörte plötzlich von Leuten wie Alex Turner von den Arctic Monkeys oder Phil Oakey von The Human League, wie wichtig er für sie sei. „Made In Sheffield“, produziert von Richard Hawley, verschaffte Christie über Nacht genau die musikalische Glaubwürdigkeit, die ihm lange gefehlt hatte.

Sheffield, ehemals Synonym für eine alles dominierende Stahlindustrie, gilt gemeinhin als Symbol des Untergangs des britischen Industriezeitalters, kein Messer im Land, das einst nicht dort produziert wurde. Heute ist die Stadt vom Strukturwandel und der postindustriellen Identitätskrise geprägt, weder aus der idyllischen Lage mit sieben Hügeln und zahlreichen Flüssen noch aus der glorreichen Vergangenheit wissen Imageberater Kapital zu schlagen. So sagt es jedenfalls Richard Hawley, Tourgitarrist von Pulp und längst mit eigenem Werk anerkannt. Er fasst die Außenwirkung seiner Heimatstadt so zusammen: „Hier sind nur Idioten am Werk“. Seine Songs „Lady’s Bridge“ und „Cole’s Corner“ sind melancholische Liebeserklärungen an die Stadt und zugleich großes, traditionsbewusstes Gefühlskino.

Als Tony Christie sie eines Tages im Autoradio hörte, hatte er nur noch eins im Sinn: das sind die Lieder, die er in Zukunft singen möchte. „Now’s The Time!“ ist dank allgegenwärtiger Bläsersätze ein kraftvolles, tanzbares Album geworden, das – eine große Stärke – gänzlich ironiefrei daherkommt. Wenn Christie in „Money Spider“ von Geldgier singt und in „Too Much Of The Sun“ selbstkritisch die eigene Karriere Revue passieren lässt, dann ist das souverän. Anders als viele Altstars seiner Ära gibt er sich nicht der Sentimentalität hin. Er greift nicht nach lebenstiefem Blues oder Close-to-Heaven-Gospel wie Kollege Tom Jones im vergangenen Jahr, sondern zu James Bond und Burt Bacharach.

Christie will sexy, elegant und ein bisschen gefährlich bleiben. Während Größen wie Neil Diamond, Glen Campbell und Johnny Cash das Fach Altersweisheit neu definiert haben, steht Tony Christie für das Ende der Maskerade. Endlich die Musik machen, die man eigentlich schon immer machen wollte – dafür hält er sich fit. Kein Bier, kein Brot, viel frische Luft und Familie. Enkel Joby Fitzgerald, da strahlt der mehrfache Großvater zum Ende des Gesprächs, ist angehender Musiker und träumt davon, in seine Fußstapfen zu treten. Aber jetzt sind die Scheinwerfer erst noch mal auf den Altmeister gerichtet, der eins der besten Alben des Jahres hingelegt hat. Und zwar lässig.

"Now's The Time" erscheint am 28.10. bei Sony Music

Christine Heise

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false