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Album-Kritik: Nimm das, Bruder!

Die erwachsene Version von Oasis: Das Solo-Debüt von Noel Gallagher, dem kreativen Kopf der Britpop-Legende

Er lässt es langsam angehen. Fährt opulente Streicher auf, statt Uptempo-Beats. Hat bedächtige Melodien eingebaut, statt wütender Gitarrensoli. Scheint beim Singen gemächlich zu schlendern, vielleicht an irgendeinem Flussufer entlang, allem Vernehmen nach rechts oder links der Themse: Noel Gallagher, leiblicher Krawallbruder des Krawallbruders Liam, Gitarrist und kreativer Kopf der größten Britpopband Oasis, popweltbekannter Säufer, Kneipenprügler, Drogennehmer und Streithammel, hat sein erstes Soloalbum gemacht.

„Noel Gallagher’s High Flying Birds“ kommt ein gutes halbes Jahr nach dem Soloalbum seines jüngeren Bruders heraus. Und weil Liam nach dem letzten großen Krach und der anschließenden Bandauflösung 2009 alle damals aktuellen Oasis-Mitglieder einbehielt und mit ihnen seine neue Band Beady Eye gründete, musste sich Noel auf Personalsuche begeben. Fündig wurde er in der näheren Umgebung: Auf seinem Debütalbum spielen gutbeschäftigte Studio- und Livemusiker mit Oasis-Bezug wie der The Lemon Trees- Drummer Jeremy Stacy oder die Streicher und Arrangeure von The Wired Strings, die schon Oasis-Platten weichkochten.

Weil auch Oasis, abgesehen von der Stadionrock-Anmutung ihrer Livegigs, eigentlich immer Entdecker und Bewahrer der Langsamkeit gewesen waren, klingt das Album des 44-Jährigen mit den scheinbar permanent zweifelnden Augenbrauen vor allem nach der Band, in der er seine Jugend ließ: nach Oasis in Erwachsen und ohne Drogen. Kein Song rennt schneller als 100 Beats per Minute. Allein das als Reminiszenz an die Mega-Techno-Nummer „The String of Life“ zu verstehende „AKA What a life“ galoppiert voraus.

Medioker melancholische Mollanhäufungen werden stets brav in Richtung Dur aufgelöst, in den Texten geht es um Sehnsucht, mal nach einem einfachen Leben mit dem richtigen Menschen, mal nur nach dem einfachen Leben, mal nur nach dem richtigen Menschen. „I see another new day dawning / it’s rising over me and my mortality / and I can feel the storm clouds / sucking up my soul“ singt Gallagher in dem schönen, an den „Lazy Sunday Afternoon“ der Small Faces oder einen „Summer in The City“ von The Lovin’ Spoonful gemahnenden „The Death of You and Me“ – aber der Titel ist auch schon das Dunkelste an diesem Song. Der Rest ist erwachsenes Sehnen, zufriedenes Erinnern, durchsetzt mit der Erkenntnis, dass das weitgehend drogenfreie Familienleben (Noel Gallagher hat drei Kinder, mit seinen beiden Söhnen und deren Mutter lebt er zusammen) vielleicht doch dem ewigen Nasepudern inklusive Backstage- Geboxe mit Liam vorzuziehen ist.

Ab und an trifft er den Ohrwurmknopf mit seinem intuitiven Songwriting, das laut Eigenaussage vor allem aus langem Vor-sich-Hinspielen besteht, bis zufällig eine schöne Akkordfolge aus der Gitarre kullert. Das hitaffine „(I Wanna Live In A Dream In) My Record Machine“ sollte bereits auf dem letzten Oasis-Album erscheinen, und fiel damals dem üblichen Hahnenkampf der Brüder zu Opfer. „(Stranded on) The Wrong Beach“ hat die traurige Smartness eines Mannes, der schon überall war: „Pull me one for the road, it’s a long journey baby“.

Und wenn man auch fast jedem Song die Suche nach einem neuen „Wonderwall“ anhört, klingt diese Suche immer noch ehrlich und wehmütig genug, um dabeizubleiben. Noel Gallagher hat nie darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen: Die Musik, die ihn und seinen Bruder aus den engen nordenglischen Backsteinhäusern des Arbeiterviertels von Manchester in Londoner Millionärsvillen versetzte, die den ehemaligen Inspiral Carpets-Roadie und musikalischen Autodidakten auf Riesenbühnen und neben Riesenstars auftreten ließ, die hat sich für ihn bewährt. Anders will und kann er nicht klingen.

Schließlich funktioniert auch Noel Gallaghers aktuelles Projekt in jenem Spannungsfeld, das Britpopbands in den neunziger Jahren definiert haben: Als Working Class-Mitglied und Großmaul auftreten, aber keine Angst vor Gefühlen haben. Sich in der Öffentlichkeit auf die Gosche hauen, aber Liebesballaden schreiben. Selbstverständlich arm (gewesen), aber sexy zu sein. Dazu noch Mod, beziehungsweise Ex-Mod: Noels Bruder Liam betreibt seit zwei Jahren eine Klamottenlinie mit schicken Jacken, Shirts und Anzügen, für die auch Paul Weller als Posterboy herhält.

Noel Gallagher war bei Oasis der Hauptsongschreiber, Liams Ambitionen hat er stets belächelt und behindert. Und weil seine Stimme, der seines Bruders recht ähnlich ist, könnten dem echten Oasis-Fanatiker bei den High Flying Birds höchstens die bandinternen Skandale fehlen. Doch um den stark hinkenden Vergleich hervorzuziehen, mit dem die Brüder selbst zu Oasis-Zeiten gern herumprahlten: Als John Lennon und Paul McCartney nach dem Ende der Beatles Soloplatten machten, erkannte man auf ihnen – etwa bei den Wings oder der Plastik Ono Band – stets ihr typisches, genuines und ungewöhnliches Talent. Dagegen sind die High Flying Birds eher ein Post-Beatles-George Harrison. Was allerdings immer noch besser ist, als ein Post- Beatles-Ringo Starr.

Noel Gallagher’s High Flying Birds erscheint am 14. Oktober bei Sour Mash/ Indigo

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