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Elektro-Tüftler Nicolás Jaar und der Gitarrist Dave Harrington bilden das Duo Darkside.

© Jed DeMoss

Album „Spiral“ von Darkside: Hinaus auf die offene See

Das Duo Darkside plädiert mit dem grandiosen Album „Spiral“ dafür, die Komplexität der Welt nicht auf eine griffige Formel zu reduzieren.

Fast alle Musik kann traurig, wütend, fröhlich oder verliebt klingen – Gefühle, die sich mit dem Wortschatz von Fünfjährigen adäquat beschreiben lassen. Um erfolgreich zu sein, braucht es selten mehr – eher weniger: Der Minimalismus ist nicht nur in Einrichtungsfragen eine Mode. Um sich auf dem Markt zu behaupten – das kann man in jedem Existenzgründungsseminar hören – bedürfe es klarer Ansagen, eines eindeutigen Profils und möglichst einfacher, schmissiger Formeln. Der erfolgreichste Minimalist unserer Zeit dürfte Donald Trump sein, der nur einen Tweet brauchte, um die ganze Welt ins Wanken zu bringen.

Vielleicht markiert die Sperrung seines Twitter-Accounts auch den Anbruch eines neuen Zeitalters, in der die unsägliche Reduktion auf einfachste Wahrheiten endlich die verdiente Skepsis erfährt. Das New Yorker Duo Darkside liefert mit seinem Album „Spiral“ (Matador) den Soundtrack dazu. Es setzt allen Reduktionen einen stilistischen Maximalismus entgegensetzt, der heute eigentlich gar nicht funktionieren dürfte – es aber tut.

Schon der erste Song, „Narrow Road“, lebt vom starken Kontrast zwischen der Luftigkeit des Elektro-Tüftlers Nicolás Jaar und der immer wieder den seichten Fluss durchbrechenden Härte des Gitarristen Dave Harrington. Mit Jaars elegischem Gesang, sphärischen Klängen und psychedelischem Beats wird ein Erwartungshorizont aufgerissen, den aber schon das zweite Stück wieder zerschlägt: „The Limit“ beginnt als astreine Disconummer mit treibendem Rhythmus, prägnantem Basslauf und einer Melodik, die nicht zufällig an Daft Punks Album „Random Access Memories“ erinnert. 2013 benannten sich Darkside kurzzeitig in Daftside um und produzierten ein Remix-Album: Daft Punks Erfolgs- Disco-Platte in stählernem Industrial-Gewand.

Angriff auf den Zwang zur Eindeutigkeit

Auch auf textlicher Ebene kann die Platte als offener Angriff auf den Zwang zur Eindeutigkeit gedeutet werden. Da ist die gebetsartige Beschwörung eines fragwürdigen Status Quo im ersten Song. „Inside of man, a narrow road“: Der Mensch als orthodoxes Wesen, das auf den immergleichen Gleisen fährt, umgeben von bedeutungsschwangeren Illusionen. Dem setzt Jaar das Streben nach offener See entgegen. Im zweiten Song dann das Mantra „Don't single it out – Don't simplify it – Don't kill what you know – Don't speak when you reach“.

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Es ist nicht schwer, in Zeilen wie „He trades truths for answers – So they call him for the answers he gives“ aus dem Song „The Question Is To See It All“ Trump ausfindig zu machen – oder aber einen Gott. Überhaupt lassen sich Anspielungen auf Religion und Glauben in nahezu allen Liedern auf „Spiral“ finden. Allerdings nicht als heilbringende, Zuflucht spendende Gemeinschaft. Religion fungiert hier als Opium des Volkes, das, wie Marx sagte, mit falschen Versprechungen die Sinne und jeden Änderungsdrang betäubt.

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Und weil die Demagogen für Darkside kaum als Geistliche durchgehen, bleibt als kritikwürdige Religion nur der Kapitalismus und der Glaube an das ewig Eindeutige. Kapitalismus braucht Komplexitätsreduktion, Religion ist Komplexitätsreduktion, das wusste schon Niklas Luhmann.

Die Texte bleiben kryptisch und mehrdeutig

Glasklar durchargumentiert wird auf „Spiral“ nichts. Die Texte bleiben kryptisch und mehrdeutig, beziehen nicht wirklich Position oder bieten Antworten. Sie leben stattdessen von Andeutungen und inneren Widersprüchen – nicht gerade das, was die Welt von Popmusik vermeintlich erwartet. Darkside feiern die Positionslosigkeit irgendwo auf hoher Diskurssee, das Eklektische und Mehrdeutige – und entwickeln genau dadurch doch wieder eine eigene Position.

Jarr hatte sich bereits als Teenager die Musikproduktion am PC selbst beigebracht und eine hochgradig experimentelle eigene Sprache entwickelt. Mit siebzehn Jahren begann er, seine Kompositionen mit einem clubtauglichen Kickdrum-Puls zu unterlegen. Erst dadurch öffnete sich ihm die Tür zur New Yorker Clubwelt.

Sein Sound gewann bald die Anerkennung der Fachpresse – 2011 wurde Jaars Album „Space is Only Noise” von mehreren großen Magazinen zur Platte, Jaar selbst zum Live-Act des Jahres gewählt. Zu dieser Zeit gründete er mit seinem Tourgitarristen Harrington Darkside – angeblich in einem Hotel in Berlin. Wie Jaar, hat auch Harrington musikalische Wurzeln weit außerhalb des Mainstream – eigenen Angaben zufolge soll er auf jeder Tour die Biografie des Experimental- Gitarristen Derek Bailey dabei haben.

Im Gegensatz zu vielen Acts, die mit zunehmendem Alter immer experimenteller werden, mussten Jaar und Harrington ihren Stil eher vereinfachen, um von der Musik leben zu können. Stilistisch haben sie so bereits mit dem Debütalbum „Psychic“ aus dem Jahr 2013 eine Erfolgsspur eingeschlagen, deren Kurs sie nun weiter folgen.

Vielleicht spricht aus der Beschwörung des Uneindeutigen auf „Spiral“ auch der Frust über die selbst erlittenen Marktzwänge, denen die beiden ihre Musik nie ganz entziehen konnten. Man könnte diesen Kompromiss als Makel auslegen. „Spiral“ ist aber vor allem ein musikalisch grandioses, aus dem Vollen schöpfendes Dokument der Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Schaffen in Zeiten von Tweets, Slogans und einfachen Wahrheiten.

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