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Kultur: Alexander Kanoldt: Stillleben mit roter Teedose

Gibt es so etwas wie den Geburtstag eines Gummibaums, haben Kakteen ein Gedächtnis? Das sind Fragen, die sich angesichts der Stillleben von Alexander Kanoldt stellen.

Gibt es so etwas wie den Geburtstag eines Gummibaums, haben Kakteen ein Gedächtnis? Das sind Fragen, die sich angesichts der Stillleben von Alexander Kanoldt stellen. Seine Gemälde "Stillleben mit Gummibaum (1921)", noch im Entstehungsjahr von der Kunsthalle Karlsruhe erworben, und "Großes Stillleben mit Krügen und roter Teedose" von 1922 gelten als Hauptwerke der Neuen Sachlichkeit. 1925 fand in Mannheim die Ausstellung statt, die mit dem von ihrem Initiator Gustav Friedrich Hartlaub geprägten Schlagwort "Neue Sachlichkeit" einer ganzen figurativen Bewegung den Namen gab. Mit Karl Hubbuch, Georg Scholz, Wilhelm Schnarrenberger und anderen hatte sie ihren Schwerpunkt im deutschen Südwesten.

Der 1881 in Karlsruhe geborene Alexander Kanoldt war in Mannheim mit acht Stillleben und sieben eisigen Architekturlandschaften vertreten. Das bedeutete den Höhepunkt seiner Karriere. Ein kühl kalkulierender Melancholiker hatte den ihm gemäßen Ausdruck gefunden. "Sie haben nur allzu recht: ich werde der Einsame bleiben", schrieb er 1925 an seinen Schulfreund Wilhelm Hausenstein.

1909 war Kanoldt nach München gezogen und hatte mit Wassily Kandinsky die "Neue Künstlervereinigung München" gegründet. Kanoldts weitere Lebensstationen waren Breslau, Garmisch-Partenkirchen und Berlin. Der Künstler, dessen saturnisches Temperament Hausenstein früh und treffend charakterisiert hatte, manövrierte sich unter anderem durch seinen NSDAP-Beitritt 1932 in die Isolation. Das Drama eines Parteigenossen, dessen Bilder zum Teil als "entartet" diffamiert wurden, nahm seinen Lauf. 1939 erlag der ehemalige Direktor der Staatlichen Kunstschule Schöneberg einem Herzleiden. Bis heute harrt der Maler der Balance, aber auch "des scharfen Grats, neben dem rechts und links der Abgrund steht" (Franz Roh), immer noch der Wiederentdeckung. Die Kunsthalle Karlsruhe präsentiert in einer geschickt komponierten Ausstellung mit rund 130 Werken aus eigenem Bestand - zehn Gemälden, 50 Zeichnungen und 70 Lithographien - sein Schaffen in allen Phasen.

Der Gummibaum vor rotem Hintergrund und der Kaktus des "Großen Stilllebens" erscheinen als heimliche Zeremonienmeister der leblosen, doch in einen magischen Zusammenhang gebannten Gegenstände. Es sind alterslose Pflanzen mit scharfkantigen, wie geschliffenen Blättern. Im Gegensatz zu den hinfälligen Blumen und Früchten in Stillleben vergangener Epochen verkörpern Kanoldts Hartlaubgewächse der zwanziger Jahre keine Vanitas-Motive, sondern die gefrorene Wirklichkeit.

Einen ähnlichen Effekt haben auch seine von Telegraphendrähten im Zaum gehaltenen Straßenansichten, vor allem aber die berühmten Bilder aus Olevano und San Gimignano, der toskanischen Stadt der Geschlechtertürme. Der Karlsruher Landschafts- und Historienmaler Edmund Kanoldt, ein erklärter Deutschrömer, hatte seinen Sohn Alexander häufig nach Italien mitgenommen. Die unterschiedlichen Temperamente offenbarten sich, wenn sie ein und dasselbe Motiv aufs Blatt bannten, wie die Kirche Madonna del Monte in Brissago. In Alexander Kanoldts Lithographie scheinen übermächtige Zypressen das in fahlem Licht gehaltene Gotteshaus schier zu erdrücken. In seinen späteren, unwohnlichen Stadtansichten, die vom Kubismus geprägt sind, erscheinen die arkadischen Sehnsuchtsorte des Vaters plötzlich als Stätten des Unheils.

Stolz und herausfordernd blickt der junge Mann sein Gegenüber an. Unter dem Malerkittel trägt er ein gestärktes Hemd mit hohem Kragen und Krawatte. Ein kleines Fenster im Hintergrund fungiert als einzige Lichtquelle, das Gesicht des Malers bleibt fast völlig im Dunkeln. Der linke Arm ist ausgestreckt, unterhalb des Bildrands ist die Palette zu erahnen. Um 1904 schuf Alexander Kanoldt dieses eigentümlich düstere, zugleich stolze und beinahe hochfahrende Selbstbildnis. Damals besuchte er die Zeichenklasse von Friedrich Fehr an der Kunstakademie seiner Heimatstadt.

Ein Vierteljahrhundert später zwängte Kanoldt, inzwischen Professor an der Akademie in Breslau, dabei innerlich höchst unglücklich, sein Porträt in ein säulenförmiges Hochformat. Der Bildrand und der flächige mittelgrüne Hintergrund bedrängen den soignierten Mann mit Fliege geradezu. Er hält eine Pfeife in der Hand, Symbol für den Künstlerberuf. Es sind die selben dunklen, buschigen Augenbrauen wie in dem Jugendbild, doch die Gesichtszüge werden kantig ins Licht gerückt. Im Halbprofil stellt sich der Porträtierte dem Leben, so wie es ist - kalt, glatt, unausweichlich. Der Mensch gefriert zum Stillleben. Zwischen den beiden großen Selbstbildnissen Alexander Kanoldts spannt sich nicht nur die sehenswerte Karlsruher Ausstellung, sondern ein mitunter tragisches Leben.

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