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Kultur: Alexander Kluge: Der Künstler als Feldherr

Nein, feiern will er nicht. Es gibt ja auch nichts zu feiern: 70 zu werden ist kein Verdienst und schon gar nichts, an das man erinnert werden möchte.

Nein, feiern will er nicht. Es gibt ja auch nichts zu feiern: 70 zu werden ist kein Verdienst und schon gar nichts, an das man erinnert werden möchte. Da ist Alexander Kluge nicht anders als jeder andere, der den Eintritt ins Rentenalter verpasst hat. Wahrscheinlich verbringt er den Tag in seinem elektronischen Schneideraum und bastelt in Heimarbeit an neuesten Werken für RTL, Sat 1 oder Vox: Opern aus altem und neugedrehtem Material, versehen mit Klugeschen Grundwahrheiten, die banal und tiefsinnig zugleich sind. Filme, die zu einem eigenen Genre geworden sind, kleine Kunstwerke, die den Quotenfetischisten der Privaten seit zehn Jahren den Schweiß auf die Stirn treiben und doch jede Woche mehr Zuschauer haben als so manches Staatstheater in zwölf Monaten.

Er hatte schon drei Künstlerleben hinter sich, als ich ihn kennenlernte: der Dichter, der Filmemacher, der Filmlobbyist. Es waren die Dreharbeiten an dem Kino-Dokumentationsfilm "Der Kandidat". Ich, der damals junge Fernsehreporter von "Panorama", er (und Volker Schlöndorff) die Kino-Giganten.

Wir stritten uns wie die Kesselflicker. Die Verhandlungen über die verschiedenen Passagen des Collage-Films verliefen nach dem Muster der SALT-I-Konferenzen. Kürzungen nur auf Gegenseitigkeit, überwacht wie Abrüstungsverhandlungen.

Dreharbeiten zu Sylvester 1979/80 mit Nachtsichtgerät, 35-Millimeter-Kamera, Spitzen-Kameramann und ohne Konzept. Kluge dreht immer Sylvester, erklärte Ko-Autor Alexander von Eschwege: "Der weiß sonst nicht, was er machen soll."

Gedreht wurde (mit Nachtsichtgerät) ein Alsterdampfer auf der Alster. Vollkommen unsinnig, überflüssig, banal. Bis die Passage dann im Film war: Ein Alsterdampfer. Darunter Kluges Stimme: "Die Geschichte unserer Häuser ist 5000 Jahre alt. Zerdeppert sind sie in einer Minute." Ich sah ein, dass der Dreh sich gelohnt hatte.

Nach diesem Modell entwickelte sich die freundschaftliche Zusammenarbeit: Auf SALT I folgte SALT II ("Krieg und Frieden"), dann SALT III, das Konzept der DCTP und damit auch Spiegel TV.

Die schlichte Frage: Warum sollte das private Fernsehen nur den Giganten gehören?

Alles riskiert

Politisches Lobbying, das einen Herbert Wehner vor Neid erblassen ließe. Und dann die Realisierung des Unrealisierbaren. Der Künstler als (geschäftstüchtiger) Feldherr. Stur. Mit allen Wassern gewaschen. Ein sanfter Argumentierer mit stahlhartem Kern. Ein Verhandlungspartner, der die Gegenseite zermürbt, der sie im Zweifel totquatscht, der alles riskiert und dadurch vieles durchsetzt.

Ohne ihn würde es die DCTP nicht geben, jenes kleine pluralistische Alibi im Duopol des privaten Fernsehens (ohne ein akzeptables und zugleich quotenträchtiges Programm auf diesen Nischenplätzen gäbe es die DCTP allerdings wohl auch nicht mehr).

Er hat das deutsche Fernsehen in einem kleinen (aber feinen) Teilbereich geprägt, so wie den Autorenfilm der Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre.

Eines der wirklich seltenen Universalgenies: Dichter und Jurist, Künstler und Politiker, Filmemacher und Finanzexperte, Stratege und Taktiker, Zuhörer und Lehrer, Freund und Feind. Ein Artist eben, mal oben in der Zirkuskuppel, absturzgefährdet, mal unten als Raubtierdompteur, der den Tiger mit endlosen Monologen entnervt, sodass dieser am Ende lieber durch den Feuerreifen springt als sich das noch länger anzuhören. Ein Überzeugungstäter eben. Ein wahrer Künstler. Gut, dass er nicht in die Politik gegangen ist. Glückwunsch, zum Siebzigsten.

Stefan Aust

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