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Alfred Hilsberg

© Votos - Roland Owsnitzki

Alfred Hilsberg und sein Leben: Im Paradies der Unangepassten

Das eigene Ding machen: Christof Meueler erzählt in "Das ZickZack-Prinzip" das Leben des Underground-Papstes und Labelmachers Alfred Hilsberg.

Diedrich Diederichsen weiß noch genau, wie man ihn Ende der Siebziger vor Alfred Hilsberg warnte. Hilsberg schrieb für die Musikzeitschrift „Sounds“, als er dort Redakteur wurde. „Pass bloß auf und streich lieber die Hälfte von dem, was er sagt. Wenn du ihm einen Auftrag gibst, denkt er, er hat drei. Wenn du ihm sagst, er soll eine halbe Seite schreiben, dann schreibt er eine Doppelseite“, erzählt Diederichsen in Christof Meuelers Hilsberg-Biografie „Das ZickZack-Prinzip“ und charakterisiert damit gut Hilsbergs Arbeitsweise. „Das Wort für das, was sie nicht wollten“, so Diederichsen über die „Sounds“-Chefs, „war Punk. Das machte Punk für mich erst richtig attraktiv.“

Machen, nicht warten, hieß die Devise

Alfred Hilsberg war in Deutschland ein Punk der ersten Stunde, aber nicht, weil er den Sound so aufregend fand, das Eins-Zwei-Drei-Akkord-Geschrumme, sondern die Basis- und Do-it-Yourself-Kultur des Punk: „Da machten Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben ihr eigenes Ding“, heißt es bei Meueler. Hilsbergs Ding war ein Label, mit dem er zum deutschen Punk- und Underground-Impresario wurde, zur legendärsten Figur des deutschsprachigen Indie-Pops: das ZickZack-Label, wo es zum Beispiel die ersten Singles und Alben der Einstürzenden Neubauten und Blumfeld gab.

Das Motto von ZickZack: „Lieber zuviel als zu wenig“. So hieß 1981 ein Sampler mit „Sommerhits“, zum Beispiel von den Neubauten, Palais Schaumburg, Andreas Dorau oder X-Mal Deutschland. Machen, nicht warten. Was da war, sollte raus, auf den Markt, in die Läden, sofort – mit Marketingstrategien, Bandpflege oder Imageproduktionen hatte Alfred Hilsberg nicht so viel im Sinn. Punk halt.

"Das ZickZack-Prinzip" ist eine Mischung aus Biografie und Oral History

Selbst die Hilsberg-Biografie wirkt so, als habe sich der Kulturjournalist Meueler an diese Devise gehalten: Namen über Namen stehen auf dem Cover, Gespräche mit über sechzig Weggefährten und Zeitgenossen im Buch. Und die großen Kapitel sind in viele kleine unterteilt, unterbrochen von den Erinnerungen der Gesprächspartner, was für Tempo und schöne Rhythmuswechsel sorgt. „Das ZickZack-Prinzip“ ist eine Mischung aus Biografie und Oral History. Letztere ist seit Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“-Buch die gängige Form, mit welcher der Pop- und Clubkultur in Deutschland von Kraftwerk bis Techno zu ihrem historischen Recht verholfen wird.

Verwunderlich ist nur, dass der Held dieses Buches, das nicht zuletzt eine Art Bildungsroman ist, nie zu Wort kommt, nicht einmal in Form von Interviewzitaten. Schon 2006 in Angriff genommen, sollte „Das ZickZack-Prinzip“ eigentlich als Autobiografie Hilsbergs mit Meueler als Koautor herauskommen. „Das ursprüngliche Konzept einer Kulturgeschichte von unten“ sei aber „über den Haufen geworfen“ worden, hat Hilsberg jetzt „Zeit online“ gesagt – wer immer da geworfen hat. Zumindest diese Biografie gibt es nun. Hilsberg behauptet, sie sei nicht „in Abstimmung“ mit ihm entstanden, also unautorisiert. Meueler ist da zurückhaltender. Er sagt lieber, dass die geplante Autobiografie wegen Hilsbergs „Grandezza und Legendarität“ nicht realisierbar gewesen sei. All das klingt undurchsichtig, passt aber gut zu Hilsbergs mitunter verworrenem Leben.

ZickZack veröffentlicht allein in den ersten fünf Jahren über Platten

Seine frühen Jahre sind zunächst ein Paradebeispiel für die BRD Noir von Philipp Felsch und Frank Witzel, für ein idyllisches, aber abgründig-graues Land. Er kam 1947 in Wolfsburg zur Welt, der Vater war Arbeiter bei VW, die Mutter Hausfrau. Hilsberg scheint früh klar gewesen zu sein, wo seine Familie sich gesellschaftlich befand, so Meueler: „Unten. Die Bundesrepublik hatte ihnen nichts zu bieten, außer schlecht bezahlte Arbeit.“ Alfred wollte nur weg: aus der Schule, die er abbrach, aus der Provinz, in der es durchaus 68er-Ausläufer gab. Nach einem Zeitungsvolontariat in Sarstedt bei Hildesheim und in Helmstedt landet er in Hamburg und arbeitet in Filmvertrieben für linke, experimentelle Filme, dann an Kunsthochschulen, wo er Geschichte des Dokumentarfilms unterrichtet.

Glamourös ist das alles nicht, sondern unruhig, bewegt, nervenaufreibend. Hilsberg ist ein Kind seiner Zeit, idealistisch, ständig auf der Suche: nach dem „revolutionären Subjekt“, nach Alternativen zum Kapitalismus, nach einer „neuen Kultur, der etwas zutiefst Menschliches“ innewohnt, laut Meueler eine seiner Lieblingswendungen. Er schreibt für „Sounds“, organisiert Konzerte, gründet sein Label und veröffentlicht allein in den ersten fünf Jahren über hundert Singles, Maxi-Singles und Alben.

Lieber zu viel als zu wenig, bloß keinen Punk: Den typischen ZickZack-Sound gab es nie. Die Platten des Labels sind experimentell, lustig, krachig, kaputt, neben der Spur. Abseits der Charts und der Neuen Deutschen Welle, als deren Ikone Hilsberg bisweilen irrtümlicherweise gilt. ZickZack warb in der „Sounds“ mit dem Slogan „Keine Mark der Industrie“ – das Problem allerdings war, dass auch ZickZack nicht die große Mark verdiente und Geld stets sofort in neue Produktionen steckte. „Das beste Label der Welt mit der schlechtesten Zahlungsmoral der Welt“ nennt es der Family-Five- Musiker Xao Seffcheque heute. „Bei Alfred macht man ’ne geile Platte, man macht sie ganz schnell, es ist alles genau so, wie man will, er redet einem nix rein – und du siehst nie einen Groschen. (...) Und in zwanzig Jahren werden wir auch sagen: Das ist ’ne geile Scheibe.“

Meuelers Buch ist auch eine Geschichte des Scheiterns

Meuelers Buch enthält viele solcher Einschätzungen und Geschichten; unterhaltsam führt es durch zwei Jahrzehnte, in denen Hilsberg auch mit seinem zweiten Label What’s So Funny About der Taktgeber des Pop-Undergrounds war, mit Bands wie Mutter, Cpt. Kirk & und Blumfeld. Spätestens mit dem Aufkommen eines anderen Hamburger Indie-Labels, L’age D’or, und dem Hype um die sogenannte Hamburger Schule, verlor er seinen Nimbus. „Paradies der Ungeliebten“ hieß 1997 ein Sampler aus dem Hause What’s So Funny About, doch so paradiesisch war das Anderssein, das Nichteinverstandensein nicht mehr.

Passend dazu hat man bei der Lektüre den Eindruck, dass Hilsberg mehr und mehr herausfällt aus dieser Biografie, dass er vom Zentrum an den Rand gerät, auch von Szenezusammenhängen, Polit- und Feminismusdiskursen: eine zwar legendäre, aber auch tragische Figur, immer in Schwarz gekleidet, mit einem rosa Plastikkoffer in der Hand, die Geschäfte bevorzugt vom Bett seiner 30-qm-Wohnung aus führend.

„Das ZickZack–Prinzip“ ist eine Geschichte des erst lustvollen, später auch traurigen Scheiterns – und eine des unbeirrten Immerweitermachens, bis in die Gegenwart. Ja, Hilsberg, sucht nach wie vor, wie er vor ein paar Jahren in die Liner-Notes eines Samplers schrieb, nach den „selbstbewussten, musikalischen wie sprachlichen Dimensionen eines neuen Pop-Undergrounds.“ Als am Ende ein Mitarbeiter von einer Abschiedsparty für ihn spricht, falls seine Labels einmal dichtgemacht werden sollten, sagt er in diesem Buch doch noch einen höchst typischen Satz: „Aber ohne mich.“ Konsequenz, dein Name sei Alfred Hilsberg.

Christof Meueler: Das ZickZack-Prinzip. Alfred Hilsberg – ein Leben für den Underground. Wilhelm Heyne Verlag, München 2016. 384 Seiten, 22, 99 €.Buchvorstellung, Di, 26.4., 19 Uhr im HAU 1, mit Hilsberg, Meueler, Michaela Melián und Diedrich Diederichsen.

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