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Boualem Sansal.

© Gabriel Bouys/AFP

Algerischer Schriftsteller: Boualem Sansal erhält Friedenspreis des Buchhandels

Nachrichten aus einem verlorenen Paradies. Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Von Gregor Dotzauer

Sein Leben zerfällt in zwei Teile und kennt dennoch keinen Bruch. Boualem Sansal, der studierte Maschinenbauingenieur, Berater des algerischen Handelsministeriums und ministerielle Generaldirektor der Industrie, unterscheidet sich von Boualem Sansal, dem Schriftsteller, der 1999 mit „Der Schwur der Barbaren“ bei Gallimard in Paris seinen ersten Roman veröffentlichte, nur dadurch, dass ihn der Staat seither daran hindert, einem Brotberuf nachzugehen. In der Sorge um das eigene Land sind die beiden Sansals identisch – wie im Traum, die clanmäßig, ethnisch, politisch und religiös vielfältig zersplitterten Bevölkerungsgruppen Algeriens miteinander ins Gespräch zu bringen. Schon als Ministerialbeamter sammelte er Unternehmer um sich, die Afrikas zweitgrößtes Land aus der Isolation führen sollten: der internationalen wie der gegenüber den Nachbarn.

Heute ist der 1949 in einem Bergdorf der Provinz Oran geborene Sansal, der am 16. Oktober in der Frankfurter Paulskirche den mit 25 000 Euro dotierten Friedenspreis 2011 des Deutschen Buchhandels erhält, der namhafteste lebende Schriftsteller Algeriens, der seinem Land über alle Zerwürfnisse hinaus die Treue gehalten hat. Und das, obwohl seine Bücher zu Hause nicht verlegt werden dürfen. Dafür liegen sie im kleinen Gifkendorfer Merlin Verlag fast komplett auf Deutsch vor.

Sein unter dem Pseudonym Yasmina Khadra schreibender Kollege Mohammed Moulessehoul leitet nach jahrelangen Spannungen mit seinem Heimatland, die ihn ins Exil trieben, das algerische Kulturzentrum in Paris. Assia Djebar, die 2000 mit dem Friedenspreis ausgezeichnet wurde, lehrt französische Literatur in New York. Was Sansal im 50 Kilometer von Algier entfernten Boumerdès ausharren lässt, jener direkt am Mittelmeer gelegenen Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, wo er mit seiner zweiten Frau lebt, ist nicht ein Mangel an Gelegenheit zu einem mehr oder weniger komfortablen Exil. Es ist eine Mischung aus Trotz, politischer Beseeltheit und Lust, dem verworrenen Spiel von Macht und Korruption in Algerien erzählend nachzugehen.

Man könnte glauben, dass er, wie zahlreiche Interviews und Meinungsstücke belegen, der Regierung von Präsident Bouteflika, der als Kandidat des traditionsreichen Front de Libération Nationale (FLN) mit angeblich über 90 Prozent der Stimmen 2009 seine dritte Amtszeit antrat, umso strenger die Leviten liest, je hartnäckiger er marginalisiert wird. Aus der unmittelbaren Nähe zu dem scheinbar ewigen Chaos der Kräfte im Land, aus dem die Regierung nach dem Motto „Teile und herrsche“ einen guten Teil ihrer Stabilität bezieht, erwächst aber auch eine diagnostische Klarsicht, die sich nicht vorschnellen Hoffnungen auf ein Staatswesen nach Brüsseler Schnittmuster hingibt. Die von Tunesien und Ägypten ausgehende Rebellion in der arabischen Welt, die auch Algerien erfasst hat, sieht Sansal als weitgehend ungerichtete Explosion kosmopolitischer Sehnsüchte, die vor allem von westlichen Medienbildern zehren: Die Gefahr steckt im Vakuum danach. Und Sarkozys Bomben gegen Gaddafi gelten ihm, ganz gegen Bernard-Henri Lévy, weniger als Hilfe bei der Befreiung Libyens denn als Selbstbefriedigung eines Westens, der zu lange mit dem Diktator paktiert hat.

Dabei schlägt das Herz des auf Französisch schreibenden Sansal weder für das alte Kolonialreich noch für den erstarkenden Islam, nicht einmal in seiner bürgerlich gezähmten Variante. Es ist ihm, wie er sagt, nicht wohl dabei, dass es in Boumerdès einst drei Moscheen gab – mittlerweile seien es über dreißig. Er hat nur einen Sinn für die Dimensionen dessen, was da umgewälzt werden muss, im langen, Kräfte zehrenden Miteinander, und den Kampf um eine gemeinsame Sprache jenseits stummer Feindseligkeit.

Seine Romane praktizieren dies mit wechselnder Raffinesse, mal in Redesturzbächen, mal in einem magisch überglänzten Realismus. Immer tun sie es aber in der Form einer von Ideen und Figurenkonstellationen angetriebenen litterature engagée, der einerseits nichts lieber wäre, als sich selbst überflüssig zu machen, die sich andererseits aber in ihren satirischen Spitzen gefällt und im Auskosten eines absurden, Blut und Gewalt in den Blick nehmenden Witzes.

In Sansals Debüt, einem Krimi über die Nachwehen des Bürgerkriegs Anfang der 90er Jahre, prallten die Sprachebenen der Figuren grell aufeinander. In „Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum“ konfrontiert er einen zurückgekehrten pied noir im Zuchthaus mit einem einheimischen Islamisten. „Erzähl mir vom Paradies“ entwirft fantastische Fetzen eines zukünftigen Algerien unter zwielichtigen Bargestalten. „Harraga“ beschäftigt sich mit der Rolle der Frau. Und „Das Dorf des Deutschen“ imaginiert die Shoah, ein absolutes Tabu in Algerien, in Gestalt eines proarabischen SS-Offiziers, dessen Vergangenheit seine Söhne aufdecken.

Nach der Auszeichnung des Israelis David Grossman im letzten Jahr ist die Entscheidung für Boualem Sansal zwar nicht literarisch glanzvoll, im Sinn des Friedenspreises aber eine würdige Wahl: zeitgemäß, aber nicht hysterisch aktuell, und ein überfälliger Hinweis auf einen bisher viel zu wenig bekannten Autor.

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