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Kultur: All you need is Luv

Seine grünen Augen verstecken sich hinter tief hängenden Lidern. Sie schauen mehr nach innen als in die Welt.

Seine grünen Augen verstecken sich hinter tief hängenden Lidern. Sie schauen mehr nach innen als in die Welt. Murray Schisgal lacht viel, manchmal albert er mit seinem Tischnachbarn, dem Regisseur Wolfgang Spier wie ein vergnügtes Kind. Aber in den Augen sieht man sein Alter, 75.

Murray Schisgal stellt sein Glas Rotwein auf den Marmortisch im Café Dressler im Haus der Komödie am Kudamm und sagt: "I feel like a million dollars." Gerade hat er die deutsche Vorpremiere seines neuen Stücks "Warum nicht?" gesehen. Er ist begeistert und betont, welch gute Partie er mit Wolfgang Spier gemacht habe, der die Regie führt. Kaum zu glauben, dass sich die beiden erst vor 3 Tagen das erste Mal gesehen haben. Der 1920 geborene Spier hat das Stück mit dem Originaltitel "We are family" aus dem Amerikanischen übersetzt. Sam, ein erfolgreicher Autor und die Hauptfigur des Stücks, startet ein homoerotisches Experiment. Wegen des üblichen Beziehungsfrustes will er sich mit seinem Collegefreund Billy in Liebesdingen versuchen.

Zunächst wollte Spier seine Übersetzung mit "Und das ist auch gut so" betiteln. "Das passte damals genau in die Zeit", erklärt er fast entschuldigend. Dann aber besann er sich auf "Warum nicht?". Der Titel gefällt auch Schisgal. "Er bedeutet: Warum sollen wir nicht das Leben leben, das wir wollen?" Schisgal interessiert die Verunsicherung der Männer, die sich ihrer Rollen nicht mehr sicher sind. Er möchte die femininen Instinkte des Mannes erkunden. Sam (Herbert Herrmann) sucht den Kontakt zu Billy (Horst Janson) auch wegen seiner eigenen weiblichen Seiten. "Sam ist ein Teil von mir", sagt Schisgal. Sein Gebiet als Autor ist die Psychologie. Sein Schreiben sei immer eine Art von Selbst-Analyse, die er auch betreibe, um sich selbst zu helfen. Er meint: "Jede große Kunst wird von innen heraus gemacht." Davon erzählen Schisgals Augen. Vielleicht auch seine Bewunderung für europäische Autoren wie Kafka, Thomas Mann, Beckett, Gogol.

Russisch spricht er nicht, obwohl sein Vater aus der Ukraine nach New York ausgewandert ist. Seine Mutter war geborene Amerikanerin. Ursprünglich wollte er Prosa veröffentlichen, schrieb sechzig Kurzgeschichten und 3 Romane - zumeist für die Schublade. Er wurstelte sich mit Gelegenheitsjobs durch, studierte Jura, arbeitete zwei Jahre als Jurist und verlegte sich dann aufs Theater und aufs Schreiben von Drehbüchern. Ihm gelang der Durchbruch. Seine größten Erfolge feierte er zu Beginn der Sechzigerjahre mit dem Stück "Luv", so benannt, weil der Titel "Love" ihm zu abgegriffen erschien und mit dem Drehbuch zu "Tootsie", jener berühmten Kino-Komödie von 1982 mit Dustin Hoffman. Murray Schisgal lebt mit seiner Frau, einer Filmproduzentin, in Manhattan und hat zwei Kinder.

Seine Begeisterung für das Theater ist einerseits eine sprachliche. Die Theatersprache sei dicht, mit viel emotionaler Färbung, näher an der Lyrik als geschriebene Prosa. Die Größe des Theaters aber sei die Körperlichkeit, meint Schisgal und nimmt seine Hände zu Hilfe. Er liebt es, sich von guten Schauspielern überraschen zu lassen. Ein Geschenk machten die ihm, wenn sie mehr zeigten, als er in sein Stück hineinlegte.

Ob er Komödien schreibt, weil er so tiefe menschliche Konflikte mit leichter Feder behandeln kann? "Das ist keine bewusste Entscheidung. Du machst einfach das, was Dich antörnt", sagt Murray Schisgal und klingt jung in seiner fast verwegenen Entschlossenheit. Plötzlich glänzen seine grünen Augen und schauen weit aus ihrem Versteck hervor.

Andreas Steinbrück

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