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Kultur: Allah ist kein Ausländer

Regeln, Rituale, Revolten: Neco Çelik inszeniert Feridun Zaimoglus „Schwarze Jungfrauen“ im Berliner HAU 3

Die Kopftücher legen sie ab, da sind die Lichter fast noch nicht an. Auch ihre schwarzen Mäntel ziehen sie aus, nehmen die dunklen Perücken von den Köpfen, nur eine der fünf lässt einen blonden Schopf zu Boden fallen. So stehen sie da, mit Theaterglatzen, in hautfarbener langer Unterwäsche, in einem riesigen Setzkasten (von Mascha Mazur), in jeder der Zellen eine. Sechs Schaufensterpuppen, die zu reden beginnen, in abwechselnd erhellten Fenstern.

Als Teil des Festivals „Beyond Belonging. Migration²“ hat Neco Çelik im Berliner Hebbel am Ufer „Schwarze Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günther Senkel inszeniert. In der ersten Theaterarbeit des 33-jährigen Filmemachers geht es ganz um den Text. Um die Sprache, in der die „Schwarzen Jungfrauen“ über ihren Glauben sprechen, über Sexualität und die Gesellschaft, deren Teil sie sind, zu der sie aber nicht gehören. Diese Sprache ist zwar nicht die – weibliche – „Kanaka Sprak“, in der Zaimoglu in seiner Textsammlung „Koppstoff“ (1998) Selbstdarstellungen junger deutscher Musliminnen wiedergab. Aber auch in dem neuen Stück wurde Interviewmaterial zu kraftvollen Monologen verdichtet und montiert.

Die fünf Frauen haben sich bewusst für den Islam entschieden. Ihre Motive sind ebenso unterschiedlich, wie Çeliks äußerliche Inszenierung der Figuren gleichförmig ist – ein Seitenhieb auf den undifferenzierten Blick der Mehrheitsgesellschaft. Das Spiel der Darstellerinnen ist auf die Stimme, auf Mimik und knappe Gesten reduziert. Zwar tauschen sie im Bühnenaufbau immer wieder die Zelle, wechseln die Ebene, manchmal gibt es Zäsuren, dann flackert das Licht – letztlich aber trägt Zaimoglus Text den Abend, und zwar mühelos.

Da ist etwa die junge Türkin (hervorragend: Pegah Ferydoni), die nach Berlin fliehen muss, weil ihr Liebhaber Sexfotos von ihr verbreitet. In der Stadt lernt sie das Nachtleben kennen, den Konsum und die Männer. Und dann kommt sie doch zu Allah. Auf ihre persönliche Weise: „Ich bin die radikale Brut. Ich trage kein Mumientuch, ich bin nicht enthaltsam. Gott verzeih’ mir, ich muss es sagen: Ich ficke immer noch, weil ich weiß, es schadet nicht meinem Glauben.“ Der Konflikt zwischen Religion und Sex wird auch in der krassen Figur der halsabwärts gelähmten Rollstuhlfahrerin (Melek Erenay) deutlich, deren Glaube ihre Lust nicht unterdrücken kann. Auch die 17-jährige Bosnierin (Pinar Ericin) wünscht sich, dass „Dschihad und Liebe“ gleichzeitig möglich wären. Ihre Kritik an machohafter Doppelmoral ist eine Provokation: „Du bist Kloake, weil du ’n unberührtes Dorfmädchen aus ’nem Kaff da unten importierst, und du hast aber hier die Sau rausgelassen, was isn das fürn Islam.“

Die Studentin (Nermin Uçar) bleibt ohne Vorgeschichte, mit ihrer radikalen Verachtung der „Schweinefresser“ und ihrer Bewunderung für die „Heldentat, die Zwillingstürme einzuebnen“, bleibt sie ihrer Haltung entsprechend gesichtslos, in der Ideologie aufgehoben. In Verbindung mit dem eingespielten Dröhnen wie von Flugzeugtriebwerken ist diese Figur mit ihrem pointierten Platz im eindrucksvollen Schlussbild allerdings arg bedeutungsschwer geraten.

Auf der Meta-Ebene formuliert die Studentin allerdings bedenkenswerte Kritik an aktuellen Wahrnehmungsmechanismen. Überall würden über Muslime „Märchen aus 1001 Nacht“ erzählt, auch auf dem Theater. Dabei gibt es ihn ja nicht, den Islam. Es gibt immer nur das, was man von ihm will. Die deutschstämmige Konvertitin (Katja Zinsmeister) etwa findet in ihrer neuen Religion eine klare Identität und „das Gefühl für Gott“. Da wird ein Gegensatz aufgemacht zwischen einem „angelesenen“ Intellektualismus und der spirituellen Gewissheit der Religion. Nicht nur bei der Konvertitin klingt die Sehnsucht nach festen Regeln und Ritualen an, die das Stück mit dem bürgerlichen „Rummel“ kontrastiert.

„Wisst ihr, was ich glaube?“, fragt eine. „Der Islam wird in Deutschland populär werden.“

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