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Kultur: Alle Sechse

Vijay Iyer gewinnt den „Downbeat“-Jazzpoll.

Von Gregor Dotzauer

In Sachen „Jazz, Blues & Beyond“ genießt das amerikanische „Downbeat Magazine“ päpstliches Ansehen. Insbesondere die alljährliche Kritikerumfrage gilt als Maßstab für den Zustand einer Musik, die wie jede andere Kunst ihre Helden hervorbringt. Noch nie aber ist jemand so siegreich aus dem unter weltweit 186 Jazzexperten durchgeführten „Downbeat“-Poll hervorgegangen wie der indischstämmige New Yorker Pianist Vijay Iyer, der damit Jason Moran ablöst. In fünf von 36 Kategorien der Hauptliste, zu der eine identisch aufgebaute Rising-Star-Liste kommt, die er als Komponist anführt, belegt der 39-jährige Iyer den ersten Platz: als Künstler allgemein, als Pianist, als Leiter des Trios unter seinem Namen und mit dem Album „Accelerando“, das auf dem deutschen Label ACT erschienen ist. Drummer Marcus Gilmore firmiert als Rising Star.

Dabei ist dem studierten Physiker alles Heldenhafte fremd und seine Musik fern aller romantischen Klavierklischees. Sie lebt von einer Mischung aus Feuer und Abstraktionsvermögen. Auf den Spuren von Thelonious Monk und dem verstorbenen Andrew Hill, der ihn eine Weile unter seine Fittiche nahm, zerpflückt er das kompositorische Material und setzt es hochenergetisch wieder zusammen. So klingen auch Hits wie Michael Jacksons „Human Nature“, das noch Miles Davis ziemlich brav adaptierte, wie nie gehört.

Vijay Iyer widerlegt von Neuem die Behauptung, dass der Jazz keine prägenden Persönlichkeiten mehr hervorbringe und Entwicklung nur als Eklektizismus zu haben sei. Er gehört zu einer Generation von Künstlern, die ihre Herkunft nicht mehr nur als weltmusikalisches Duftmittel verbreiten, sondern sie zur selbstverständlichen Grundlage ihrer Arbeit machen.

Das gilt auch für Iyers indischstämmigen Freund Rudresh Mahanthappa, der den „Downbeat“-Poll wieder als Altsaxofonist anführt, und einen alten Bekannten aus Crossover-Tagen, den Tabla-Spieler Zakir Hussain, der als Perkussionist gewinnt. Ansonsten bietet die Hauptliste wenig Überraschungen. Manfred Eicher wird als Produzent ausgezeichnet – wie auch sein Münchner Label ECM. Maria Schneider siegt erneut mit ihrer Big Band sowie als Komponistin und Arrangeurin. Der bald 82-jährige Sonny Rollins ist wieder Tenorsaxofonist des Jahres, der 71-jährige Bobby Hutcherson führt das Vibrafon unangefochten weiter ins 21. Jahrhundert. Und während der kürzlich verstorbene Drummer Paul Motian in die Hall of Fame aufrückt, triumphiert nun sein ein Jahrzehnt jüngerer Kollege Jack DeJohnette. Neu an der Spitze ist nur Ambrose Akinmusire als Trompeter. In dieser Kontinuität liegt nicht nur Verehrung für lebende Legenden. Diese mögen im Einzelfall an Kraft verloren haben – um so viel Eigensinn und klangliche Persönlichkeit wie Motian zu erreichen, bedarf es oft eines ganzen Lebens.

Unter den Rising Stars sind der in drei Kategorien führende Pianist Robert Glasper hervorzuheben, die Kontrabassistin Linda Oh, der Vibrafonist Chris Dingman und der Gitarrist Julian Lage. Eine besondere Erwähnung verdient der Arrangeur: Der amerikanische Schlagzeuger John Hollenbeck lebt als Professor des Berliner Jazzinstituts der UdK vor der Haustür und hat hier erst am Sonntag sein Large Ensemble mit Studierenden vorgestellt. Die komplette Liste findet sich unter www.downbeat.com. Gregor Dotzauer

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