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Kultur: Alle Uhren stehen still

Ein Fest für Deborah Voigt: Christian Thielemann eröffnet mit dem „Rosenkavalier“ den Strauss-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin

So ein Angebot ist schwer auszuschlagen. „Waren Sie in der Deutschen Oper schon einmal hinter der Bühne?“ – fragt Kirsten Harms, und der Intendantinnen- Ernst in ihren blauen Augen weicht einem Funkeln und Frohlocken. „Nein? Dann gebe ich Ihnen in der ersten Pause eine Führung!“ Nun ist es ja keineswegs so, dass der gemeine Musikkritiker nicht wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon hätte, wie ein Theater von hinten aussieht. Aber es ist durchaus so, dass alle Theatermacher und -direktoren im Grunde immer nur das eine wollen: spielen. Und riechen, schmecken, ja mit allen Sinnen spüren, woran es hängt, das Theaterglück. Und Herrscher sein, natürlich, über jenen magischen schwarzen Würfel, der so unendlich viel mehr bedeuten kann (und muss!) als die Welt, wie sie ist.

Riesenhohe Spiegelwände werden also ins Lot gebracht, Lüster justiert, Läufer abgeklebt. Und die Intendantin strahlt: 25 Techniker seien hier gerade damit beschäftigt, Gottfried Pilz’ Version des Faninalschen Palais im zweiten Akt des „Rosenkavalier“ in Facon zu bringen, da müsse jeder Handgriff sitzen. Überhaupt: Wissen Sie, wie ein Inspizientenpult aussieht, ahnen Sie, wie viele Scheinwerfer dort oben an der Brücke hängen, sehen Sie hier im Magazin, artig eingerollt, unsere Hänger aller Arten, von „G“ wie „Gala“ bis „T“ wie „Tannhäuser“ und ...?

Wäre Kirsten Harms’ Generalschlüssel nicht kurz hinter der Tischlerei in einer Schleusentür stecken geblieben, wir wären wohl noch viel tiefer in die Katakomben vorgedrungen. Kaum aber geben wir es auf, das Biest aus dem Schloss zu befreien, ertönt auch schon die sonore Stimme des Inspizienten: „Meine Damen und Herren, der zweite Akt hat soeben begonnen.“ Ob es nicht auch ganz lustig wäre, so einen zweiten Akt mal von der Bühne aus mitzuverfolgen, fragt die Intendantin zaghaft lächelnd. Vielen Dank, das finden wir jetzt nicht so lustig, lächeln wir zurück, immerhin sei dieser Abend die Eröffnung der Strauss-Festtage, wem sagen wir das, und schon lange hätten wir uns auf Christian Thielemanns Rückkehr ans Pult seines ehemaligen Leib- und Magenorchesters gefreut. Kurz darauf platziert uns die Intendantin mit unbedeutender Verspätung elegant in ihrer Loge, zweiter Rang links. Uff.

Dieser Ort wiederum hat es in sich. Akustisch dürfen sich die Ohren zunächst gegen den deutlichen Überhang eben jener linken Seite gewöhnen, der ersten Geigen vor allem, denen Thielemann an diesem guten, aber keineswegs gloriosen Abend viel Silberschmelz entlockt und im Monolog der Marschallin ein Schimmern und Schweben, einen Weltatem, so seidig, als stünden die Hofmannsthalschen Uhren tatsächlich plötzlich alle „still“.

Aber auch die Stimmen mischen sich hier nur bedingt (Götz Friedrichs sehr respektable Inszenierung von 1993 verlegt die Hauptlast der Szenen an eine Art Rokoko-Tischchen direkt zu unseren Füßen): der zwar wenig farbenfrohe und in den Tiefen bisweilen etwas topfig klingende, aber im oberen Register juvenil strömende Mezzosopran von Sophie Koch als Octavian, der ausgesprochen idiomatisch und klar geführte, gerade in den Spitzenkantilenen aber doch leicht an den Nerven zerrende, kammerkätzchenhafte Sopran von Christine Schäfer als Sophie – und der in Berliner Augen und Ohren gewiss als unverwüstlich weanerisch geltende Bass von Kurt Rydls Ochs, der freilich (auch) sängerisch über ein raubauziges Chargieren nicht mehr hinauskommt. Eine Starbesetzung mit kleinen feinen Schönheitsfehlern.

Das Interessante an diesem extraordinären Sitzplatz aber ist, wie gut man Christian Thielemann bei der Arbeit beobachten kann. Die meiste Zeit sitzt (!) der Neu-Münchner breitbeinig an seinem Pult: Da plätschert die Musik dann genüsslich für sich hin, fein durchgehört zwar und nie zu laut, aber eben auch gefällig allzu gefällig. Das Schlawinerische, Schweinigelhafte dieser Partitur, ihre kategorischen Verlogenheiten, ihr Witz und ihr süßes maria-theresianisches Gift – dies alles ist Thielemanns Sache nicht. Und leider bringt er an diesem Abend auch den Mut oder die Wut nicht auf (wie in der „Rosenkavalier“-Suite beim Silvesterkonzert vor zwei Jahren!), die Strauss’schen Maskeraden derart ins Extrem zu treiben, dass sich das Stück selbst demaskierte und in seine Bestandteile zerfiele, auf dass als Wahrheit übrigbliebe, dass es keine Wahrheit gibt.

Manchmal aber steht Thielemann auch auf und knäuelt und kniet sich regelrecht unter sein Pult: Das sind dann die „schönen Stellen“, derer es viele gibt in dieser Partitur – und sie gehören zuallererst Deborah Voigts Marschallin. Mit welch atemberaubender Textverständlichkeit sie sich dieses Rollen-Debüt erarbeitet hat, wie seismografisch ihr Isolden-gestählter, bisweilen leicht klirrender und kaum wirklich schöner Sopran sich noch der kleinsten Sentimentalität dieser Figur anzunehmen vermag, das ist grandios. Und anrührend-verführerisch. Eine Frau, die sich was „gelobt“ hat. Und um die Liebe weiß. Und steht zu ihrem Schmerz.

Wieder am 15. und 18. Januar

Christine Lemke-Matwey

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