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Kultur: Aller Raum der Welt

Entgrenzte Kunst: Die amerikanischen Aussteller Dia:Beacon und MassMoca signalisieren die Zukunft des Museums

In den letzten zwei Jahrzehnten ist der internationale Museumsbetrieb schier explodiert: Besucherrekorde von Japan bis Europa, und kaum eine Stadt, die auf sich hält, kommt ohne einen architektonisch ambitionierten Museumsneubau aus, kaum ein Museum auch ohne Erweiterung.

Zugleich aber ist seit den Sechzigerjahren das Unbehagen an der Institution Museum gewachsen – wie auch das Unbehagen an museumstauglicher Kunst. Vertreter der in Amerika entstandenen Richtungen der minimal art, concept art und der land art drängten aus dem Museum als geschlossener Bildungseinrichtung heraus. Doch das aus dem Wunsch entstandene Dilemma, ihre Werke gleichwohl zeigen und bewahren, kurz: musealisieren zu wollen, ereilte auch diese Künstler.

Als vermeintliche Lösung entstanden die „Nicht-Museen“ von in früheren Fabriken untergebrachten Sammlungen, in Gebäuden, die mit ihrer Aura des Produktiven – und damit des quasi nur etwas größer geratenen Ateliers – die Grenze zwischen „lebendiger" Kunst und „totem" Museum zu überwinden versprachen.

Auch hier hat sich eine Entwicklung vollzogen – zu einer Perfektion eigener Art. Den vorläufigen Endpunkt markiert die Einrichtung des Dia:Beacon, des von der New Yorker Dia Art Foundation unterhaltenen Museums nördlich von New York im Tal des Hudson. Vor einem halben Jahr eröffnet, hat es sofort einen Platz im Kalender weltweit reisender Kunsttouristen erobert. Das Dia:Beacon ist nicht einfach die Perfektion des Museums im Industriebau. In ihm kommen vielmehr beide Bewegungen – die der Künstler weg von den Beschränkungen herkömmlicher Museen und die des Museums weg von den Beschränkungen herkömmlicher Präsentation – zur vollkommenen Deckung.

Die Dia Art Foundation, 1974 von der Öl-Erbin Philippa de Menil und ihrem Ehemann, dem aus Deutschland stammenden Galeristen Heiner Friedrich begründet, verstand sich von Anfang als mäzenatische Einrichtung für ebenso avancierte wie ambitionierte (und zumindest damals museums-untaugliche) Kunst. Installationen von Walter de Maria – darunter das legendenumwobene „Lightning Field" in der Weite Neu-Mexikos – oder die inselgroße Installation „Spiral Jetty“ von Robert Smithson am Großen Salzsee Utah zählen dazu. In New York unterhält die Stiftung unter anderem ein Gebäude in der 22. Straße, das zum Auslöser für den fliegenden Wechsel der Galerien von SoHo nach Chelsea wurde.

So weit, so gut – doch das Grundproblem der von der Dia-Stiftung geförderten und gesammelten Kunst blieb ungelöst: endlich einmal ausreichenden Platz zu haben, um die Werke unbeengt und vollzählig vorstellen zu können. Diese Hoffnung erfüllt Dia:Beacon: Eine Kartonfabrik mit über 25 000 Quadratmetern Fläche in einem einzigen, einstöckigen und rechteckigen Gebäudekomplex mit skulpturentauglicher Bodenbelastbarkeit, durchgängig belichtet durch Shed-Dächer. Zusammen mit den weißgestrichenen Wänden sorgt das gleichmäßige Nordlicht für erstaunliche Helligkeit auch im Spätherbst. Ein solches Haus kann man nicht entwerfen – man kann es nur fertig übernehmen, in diesem Fall von der Keksfirma „Nabisco", die hier Versandkartons bedruckte.

Leonard Riggio, Gründer und Eigner der Buchhandelskette „Barnes & Noble", ließ sich von Dia-Direktor Michael Govan 1997 zur Idee eines weitläufigen Museumsgebäudes begeistern. Auslöser war die Installation der Stahlskulpturen „Verbogene Ellipsen" von Richard Serra, die Govan damals in einem Lagerhaus in Chelsea zeigte. Doch wohin damit danach? Die 120-Tonnen-Giganten kamen für ein herkömmliches Museum nicht in Frage. Im Dia:Beacon stehen sie nun so, wie es der Künstler vorschreibt – ohne Konkurrenz durch andere Kunstwerke. Sie haben einen Raum für sich allein.

Alle Werke eines Künstlers haben im Dia:Beacon einen Raum für sich. Die ursprüngliche Einteilung des Gesamtgebäudes wurde weitgehend beibehalten, und sodann suchten Govan – mittlerweile Dia-Direktor – und Chefkuratorin Lynne Cooke ohne chronologische oder thematische Ordnung für jede Werkgruppe den passenden Raum. So können sich die Blechskulpturen John Chamberlains im Seitenlicht von Fassadenfenstern sonnen, während die Fotografien von Bernd und Hilla Becher einen hoch geschlossenen Innenraum erhielten, ebenso wie die 1590 randvoll gefüllten Rahmen von Hanne Darbovens gesammelter „Kulturgeschichte 1880-1983". Don Judds Etude über die Box ist hier mustergültig zu verfolgen, ebenso Dan Flavins Neonskulpturen „Monument – Hommage to Tatlin" in nie gesehener Fülle.

Man verlässt das von außen eher unscheinbare, im Inneren umso monumentalere Dia:Beacon mit gemischten Gefühlen. Ist das schiere Größenwachstum, das hier auf höchstem ästhetischen Niveau zelebriert wird – und nebenbei rund 50 Millionen Dollar Projektkosten erforderte – , eine Offenbarung oder ein Irrweg? Verdammt der „Reinst-Raum", in dem hier die Kunst als denkbar vollständigster Gegensatz zu jeder Form von „Draußen" gehütet wird, jeden Versuch der Annäherung zum nur mehr staunenden Schweigen? Am Ufer des Hudson ist ein Grad an Absolutheit erreicht, der sich kaum übertreffen lässt. Wozu auch?

Einen ähnlichen Weg hätte auch das MassMoca, das Massachusetts Museum of Contemporary Art im zwei weitere Stunden entfernten North Adams gehen können. Lange vor Dia:Beacon stand es im Begriff, zur größten Kunst-Fabrik zu werden. In einem über 100000 Quadratmetrer Nutzfläche bietenden Werksgelände, allerdings verteilt auf über zwei Dutzend Gebäude, sollte einmal die Minimal und Conceptual Art des italienischen Grafen Panza di Biumo Aufstellung finden. Seine Sammlung verdrehte ambitionierten Museumsdirektoren einige Jahre lang die Köpfe. Schließlich griff Thomas Krens, auf Expansion eingestellter Direktor des Guggenheim Museums zu. Doch das Vorhaben, mit Hilfe von Zuschüssen des Staates Massachusetts in dem von hoher Arbeitslosigkeit geplanten, de-industrialisierten Städtchen North Adams einen kulturellen Anziehungspunkt zu schaffen, zog sich über wechselnde politische Mehrheiten immer weiter in die Länge. Wie im Einzelnen auch immer: Seit vier Jahren ist die für 32 Millionen Dollar – davon zehn Millionen Sponsorenbeiträge – verwirklichte erste Ausbaustufe von MassMoca in Betrieb, mit 25000 Quadratmeter Nutzfläche für Ausstellungen, Café und Restaurant, vor allem aber eine flexible, knapp 900 Besucher fassende Veranstaltungshalle. Panzas Minimal Art ist längst aus dem Sinn. Stattdessen zeigt MassMoca, das keine eigene Sammlung besitzt, auf lange Laufzeit angelegte Wechselausstellungen.

Der regionale Bezug spielt in North Adams eine herausragende Rolle. Das bedeutet nicht Provinzialität. So ist der international beachtete Berliner Manfred Pernice mit der begehbaren Installation „Untitled (Wonderland)" an der Ausstellung „Yankee Remix" beteiligt, in der sich Künstler mit Neu-England befassen. Doch weist MassMoca einen starken regionalen Besucheranteil auf, naturgemäß vor allem bei Konzert und Theater. Dass unlängst selbst Folk-Veteranin Joan Baez – vor ausverkauften Rängen – spielte, dürfte die Reputation als prime location nur gefestigt haben. Die Institution hat sich zu einer kulturellen Experimentalfabrik gewandelt, durchaus vergleichbar mit dem Berliner Künstlerhaus Bethanien.

Ihr Erfolg ist messbar: 120000 Museums- und 20000 Theaterbesucher im Jahr sind für einen Ort, in den man erst einmal fahren muss, eine bemerkenswerte Menge. Der Betriebshaushalt wird vollständig selbst erwirtschaftet. North Adams, lange Zeit Synonym für Hoffnungslosigkeit, ist zum Symbol eines kulturinduzierten Aufschwungs geworden.

Dia:Beacon, Beacon (NY), bis 14. April Do-Mo, 11-18 Uhr. Monumentaler Katalog, 336 S., geb. $60. Website: www.diaart.org

Mass Moca, North Adams (MA), Mi-Mo 11-17 Uhr. Katalog „From Mill zu Museum“, geb. $ 35. Website: www.massmoca.org

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