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Kultur: Alles auf Anfang

Neuer Chef, neues Programm und im Wettbewerb ein neuer Wenders: das Filmfestival von Venedig

Der Palazzo del Cinema am Lido ist, bei südlich gleißendem Tageslicht besehen, ein häßlicher Kasten aus weiß gestrichenem Beton. Schon seit einiger Zeit soll er durch einen Neubau ersetzt werden, doch weil bislang das Geld fehlte, wird er zum 61. Filmfestival hilfsweise geschickt verborgen. Dante Ferretti, Szenograf von Fellini, Pasolini und Scorsese, umstellt das Gebäude mit Dutzenden von mächtigen, löwengekrönten Stelen. Und Architekt Matteo Thun verkleidet die Fassade gar mit einem elf Meter hohen Riesenbildschirm, über den, so heißt es, „neue und unerwartete Spiegelungen der Lagune“, ja, sogar ein ganzes „Meer aus Licht und Farben“ flimmern sollen.

Mit neuer Energie und, Hand aufs Herz, kaum mehr zu erwartendem Elan: So will sich, auch über diese kühne Installation hinaus, das älteste Filmfestival der Welt am 1. September wieder einmal frisch erfinden. Zuletzt wirkte es durch dauernde Querschüsse der Berlusconi-Kulturbürokratie und fast alljährliche Direktorenwechsel einigermaßen heruntergewirtschaftet, doch nun setzt ein neuer und zugleich erfahrener Chef alles auf Anfang: Der 51-jährige Marco Müller, einst Festivalleiter von Turin, Rotterdam und Locarno und jahrelang auch als Produzent tätig, gilt als profilierter Kopf der internationalen Filmkunstszene.

Viel Zeit für neue Konzepte hatte er nicht. Wie schon sein Vorgänger Moritz de Hadeln, der 2002 als tüchtiger Nothelfer einsprang, ohne allerdings strukturelle Neuerungen durchsetzen zu können, hatte Müller gerade vier Monate für die Vorbereitung. Und bietet doch im 21 Filme umfassenden Wettbewerb und den drei Nebenreihen – für junge Filme, spektakuläre Genre-Werke und Digitalfilme – nun doch einiges auf, um den „Hunger und Durst“ des „posttelevisionären Zuschauers“ zu stillen.

Neue Filme von François Ozon, Mike Leigh, Claire Denis und Gianni Amelio mögen für das starke europäische Profil der Wettbewerbsauswahl stehen. Hinzu kommt, mit „Land of Plenty“, der neue Wenders – allerdings ein tief amerikanisch geprägtes Werk, in dem eine junge Idealistin auf den Zynismus eines Vietnam-Veteranen trifft. „Land of Plenty“ will, so heißt es, „die Paranoia und den fehlgeleiteteten Patriotismus“ vieler Amerikaner auf seine Weise spiegeln. In den Hauptrollen sind Michelle Williams und John Diehl zu sehen.

Gleich drei deutsche Filme sind in der dem innovativen Film gewidmeten Reihe „Venezia Orrizonti“ gelandet. Dort zeigt Oskar Roehler seinen schon für Cannes gehandelten „Agnes und seine Brüder“, und Edgar Reitz führt den Schlussteil seiner „Heimat“-Trilogie vor, eine sechsteilige Serie, die im Winter im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden soll. Eine deutsche Produktion ist auch „Musica Cubana“ von German Kral.

Für den zuletzt am Lido eher vermissten Star-Auftrieb sorgen Filme vor allem aus Amerika, das – abgesehen von Nicole Kidman und Lauren Bacall in Jonathan Glazers „Birth“ und neuen Filmen von Todd Solondz und Mira Nair – im eigentlichen Wettbewerb diesmal schwach vertreten ist. Doch Steven Spielberg („Terminal“) dürfte Tom Hanks und Catherine Zeta-Jones mitbringen, Marc Forster bietet in „Finding Neverland“ Johnny Depp und Kate Winslet auf, und Spike Lee führt in „She Hate Me“ Monica Bellucci, Woody Harrelson und John Turturro zusammen. Und jetzt alle auf den Laufsteg: Hauptsache, der hat sich im pompösen Licht- und Farbenspektakel des Palazzos nicht vollends virtualisiert.

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